Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
gesehene, als Peggy Knobloch identifizierte Mädchen nicht mit Peggy Knobloch identisch war.« Die Richter begründen ihre Schlussfolgerung etwas spitzfindig. Einerseits habe der Zeuge gesagt, er sei sich sicher, dass das Mädchen vom Markt mit dem aus dem Fernsehen identisch sei, an anderer Stelle habe er dagegen nur von einer Ähnlichkeit gesprochen. »Schon dies zeigt, dass sich der Zeuge seiner Sache durchaus nicht sicher war.« Zudem habe er sich womöglich durch das im Fernsehen eingeblendete Foto unbewusst in die Irre führen lassen und das Mädchen vom Markt im Geiste nach Merkmalen abgesucht, die passten. Als die Richter ihn aber gefragt hätten, ob ihm damals irgendwelche besonderen Kennzeichen an dem Kind aufgefallen seien, habe er dies verneint. Hätte er Peggy tatsächlich gesehen, so das Gericht, hätten ihm aber ihre etwas abstehenden Ohren auffallen müssen, zumal das blonde Mädchen in der Türkei einen Pferdeschwanz getragen habe und die Ohren folglich frei zu sehen gewesen sein müssten.
Ulvis Anwälte nahmen dem Verfahren mit solchen Zeugen streckenweise die Ernsthaftigkeit. Genutzt haben sie ihrem Mandanten damit nicht. Aber auch die Staatsanwaltschaft ließ sich in dieser Hinsicht nicht lumpen und führte mehrere Zeugen ins Verfahren ein, deren Aussagen wenig Erkenntnisgewinn brachten – wie Berta Fröber und Liselotte Albers. Die beiden Damen hatten sich während der Ferien im türkischen Alanya einer Gruppe von 35 Urlaubern angeschlossen, um mit dem Ausflugsdampfer »Alibaba« einen Törn übers Mittelmeer zu unternehmen. Auf dem Boot sei ihnen ein Mann mit einem blonden Mädchen aufgefallen. Zurück an Land, sei er mit der Kleinen auf einem Motorroller davongebraust, während sich die beiden Damen zurück in ihr Hotel begaben. Dort sei ihnen der Alanya-Bote in die Hände gefallen, die lokale Zeitung für deutsche Touristen. Auf der ersten Seite prangten zwei Fotos von Peggy. Eines zeigte sie von vorn, das andere von der Seite. Daneben stand in großen Lettern: »Lebt Peggy noch?«
Als sie während des Prozesses in Hof aussagen, legen die beiden Damen besagte Ausgabe des Blattes den Richtern vor. Sie hätten sich nach der Lektüre angeregt über die Fotos unterhalten, sagen sie. Dabei sei in ihnen die Gewissheit gewachsen, dass sie auf dem Boot tatsächlich der verschwundenen Peggy begegnet waren. Die Richter erkundigen sich, ob den Damen irgendwelche Besonderheiten bei dem Mädchen aufgefallen seien. Berta Fröber antwortet, sie habe himmelblaue Augen gehabt. Liselotte Albers hatte ihre Beobachtungen schon bei der Polizei zu Protokoll gegeben. Demnach habe sie die vermeintliche Peggy an ihrem »wunderschönen Mund, wunderschönen großen Füßen, schönen Händen wie auf den Fahndungsfotos, ihrer wunderschönen weißen Haut und ihren wunderschönen weißen Zähnen« erkannt. Freilich müssen beide Zeuginnen einräumen, dass sie das Mädchen auf dem Schiff nur kurz gesehen hätten. Der Eindruck des »wunderschönen Kindes«, dazu die Überschrift »Lebt Peggy noch?« mitsamt den Fotos – da sei wohl der Wunsch entstanden, bei der Suche nach Peggy behilflich sein zu können, folgern die Richter denn auch, was Berta Fröber als Möglichkeit einräumt.
Dennoch macht sich das Gericht die Mühe, weiter nachzuzeichnen, wie die Aussagen der beiden Damen seinerzeit überprüft worden waren: Kriminalhauptkommissar Behrendt habe sich des Hinweises angenommen und sei in Kontakt mit der Polizei in der Türkei getreten – also derselbe Soko-Beamte, der schon versucht hatte, Peggys Stiefvater wegen des Verdachts zu überführen, er habe Peggy in die Türkei entführt. Die türkische Polizei habe es tatsächlich geschafft, Namen, Ausweiskopien und Fotos sowohl des Mannes als auch des Mädchens vom Dampfer »Alibaba« aufzutreiben. Die Überprüfung durch die deutsche Polizei habe zweifelsfrei ergeben, dass das gesichtete Mädchen im niedersächsischen Rinteln geboren wurde.
Als der Vorsitzende Richter anschließend ein Bild hervorzieht, das ein Mädchen mit blauen Sandalen, einem T-Shirt mit dem Label-Aufdruck s.Oliver und einem Armband zeigt, daneben ein Mann in schwarzen Hosen und einem gestreiften Hemd, gerät Berta Fröber in helle Aufregung. Im Verhandlungsprotokoll heißt es: »Diese rief erstaunt und entsetzt aus: ›Das sind die beiden, die ich auf dem Boot gesehen habe!‹«
Im schriftlichen Urteil widmet das Gericht der Bootsfahrt, den hilfsbereiten älteren Damen und dem Mädchen aus
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