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Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)

Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)

Titel: Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ina Jung , Christoph Lemmer
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Rinteln fast sechs Seiten. Nur: Mit Peggy hatte das alles nichts zu tun.

    Auch in Pforzheim war Peggy angeblich gesichtet worden. Elvan Keser, die ebenfalls als Zeugin im Prozess auftritt, ist der Meinung, sie habe Peggy wenige Tage nach ihrem Verschwinden aus fünf Metern Entfernung vor ihrem Blumengeschäft gesehen. Das Mädchen sei in Begleitung einer Frau gewesen. Behrendt hatte seinerzeit sogar ein Phantombild anfertigen lassen, das eine verblüffende Ähnlichkeit mit Ahmet Yilmaz’ Schwägerin aufwies. Möglicherweise schaffte es die Mädchen-Sichtung in Pforzheim auch deshalb in den Gerichtssaal, weil Ahmet Yilmaz im Internet eine neue Freundin gesucht und gefunden hatte – eine Frau, die in Pforzheim lebte.
    Elvan Keser gibt vor Gericht an, sie habe am Abend vor der ersten Sichtung in einer Zeitung ein Bild von Peggy gesehen. Erkannt habe sie das Mädchen damals an Gesicht und Haaren. Aber dann, im Dezember, sei sie Peggy noch ein weiteres Mal begegnet. Da sei sie sich sicher, sagt sie den Richtern – und fügt hinzu, »jedenfalls zu fünfzig Prozent«. Dennoch setzt sich das Gericht der Mühe aus, die Aussage gründlich zu bewerten. So habe die Zeugin Keser »ihre Unsicherheit hinsichtlich der Identifizierung selbst eingeräumt«, schreiben die Richter. »Sie hatte in der Zeitung nur ein einzelnes Bild von Peggy Knobloch gesehen und erfahren, dass diese vermisst wird.« Aufgrund dieses Wissens habe sie unbewusst nach Ähnlichkeiten geforscht, wo möglicherweise keine existieren, zumal auch diese Zeugin »bekundete, sie habe helfen wollen«. Einzelne Merkmale oder Auffälligkeiten habe sie nicht schildern können. »In ihrer Gesamtschau ist die Kammer davon überzeugt, dass die Zeugin Peggy Knobloch nicht identifiziert hat.«
    Die Presse macht das Beste daraus und titelt: »Türkei-Spur kocht wieder hoch.«

    Als vollständig wirr erweist sich die Aussage des Obdachlosen Peter Nickel, der vorträgt, er sei an Silvester 2003 zum Feiern in der tschechischen Stadt Cheb gewesen. Sie war dennoch gut genug, um beim Prozess ebenfalls ausführlich erörtert zu werden – ebenfalls ohne jeglichen Erkenntnisgewinn über Peggys Schicksal. Er habe in Cheb in einer Diskothek auf das neue Jahr angestoßen und danach in einem Hotel gleich gegenüber übernachtet. In der Disko seien ihm mehrere deutsche Mädchen, alle zwischen zwölf und fünfzehn Jahre alt, zum Sex angeboten worden. Eines dieser Mädchen sei Peggy gewesen. Er sei sich deshalb so sicher, weil er ihr Foto einmal in der Bild -Zeitung gesehen habe. Über seinen Alkoholpegel in jener Nacht ist nichts zu erfahren, wohl aber darüber, dass sich die Polizei Hof wegen jenes Abends schon einmal mit ihm beschäftigt hatte. Damals hatte er angezeigt, man habe ihm in der tschechischen Disko seinen Geldbeutel gestohlen. Von Kinderprostitution erwähnte er kein Wort – und auch an den Namen oder die Adresse der Disko konnte er sich nicht erinnern.
    Man kann Peter Nickel wohl nur mit einem gewissen Sinn für Sarkasmus als »Zeugen« bezeichnen. Doch das Gericht ist gründlich. Außer ihm werden noch zwei Kripo-Beamte gehört, die die Anzeige des Diebstahls aufgenommen hatten. Nickel sei stark betrunken gewesen und habe auch ansonsten schlecht gerochen. Die beiden Kommissare sagen aus, tschechische Kollegen hätten nachgeforscht, aber keine Diskothek gefunden, die auf Nickels vage Beschreibungen passte. Das Gericht bezeichnet die Aussagen der Polizisten als glaubhaft und folgert, »dass es der Zeuge Peter N. frei erfunden hat, zum Jahreswechsel 2003/2004 in einer Diskothek in Cheb Peggy Knobloch gesehen zu haben«.
    *
    Wenn man das Prozessgeschehen mit Abstand betrachtet, mutet es unverständlich an, dass solchen Zeugen so viel Raum gewährt wurde – und andere, die tatsächlich etwas zum Fall Peggy hätten sagen können, nur kurz oder überhaupt nicht gehört wurden. Einer der wenigen glaubwürdigen Zeugen, die vor Gericht Zweifel an der Tathypothese der Anklage äußerten, war ein Polizist, der von Ulvis Anwälten zu einem der letzten Prozesstage geladen wurde. Der Hauptkommissar sagte aus, er habe kurz nach Peggys Verschwinden einen Jungen vernommen, der das Mädchen am 7. Mai 2001 angeblich zwischen 16.15 und 16.30 Uhr auf dem Lichtenberger Marktplatz gesehen hatte. Laut Anklage hätte Peggy da schon tot sein müssen. Sie sei aber »lebendig« aus der Bäckerei gekommen, habe dem Jungen zugewunken und »Hallo« gerufen. Der Beamte sagte außerdem: »Er [der Junge]

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