Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
bestritt: »Wenn ich in einer vorangegangenen Vernehmung ausgesagt habe, dass Ulvi Kulac, nachdem ich ihn den Schlossberg runterkommen sah, über den Marktplatz lief, so kann ich das heute nicht mehr bestätigen. Es war so, wie ich es [soeben] ausgesagt habe. Ich kann freilich nicht ausschließen, dass er tatsächlich den Marktplatz hinunterlief. Ich möchte nichts Falsches sagen, weshalb ich mich hier nicht festlegen kann und auch nicht möchte.«
Offenbar war es den Ermittlern wichtig, von Mirko zu erfahren, dass Ulvi über den Marktplatz weiter zum Henri-Marteau-Platz gegangen war. Sie hakten noch einmal nach, aber wieder bestätigte Scholz nur, dass er gesehen habe, wie Ulvi »den Schlossberg herunterkam«. Auf Nachfrage präzisierte er zudem noch einmal, sich nicht »speziell daran erinnern« zu können, Ulvi mit einem Suppen- oder Essenstopf gesehen zu haben. Am Ende der Vernehmung sagte er: »Den Ulvi Kulac habe ich schon auf den Bänken am Henri-Marteau-Platz gesehen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich ihn am 7. Mai 2001 dort gesehen habe.« Das Wort »dort« fügte Mirko handschriftlich ein, die Korrektur zeichnete er mit seiner Unterschrift ab.
Das Protokoll seiner Vernehmung liegt uns vor. Scholz muss sehr akribisch beim Lesen gewesen sein, immer wieder präzisiert er mit handschriftlichen Ergänzungen oder Streichungen. Die Beamten Römer und Michler müssen vom Verlauf der Befragung enttäuscht gewesen sein. Und noch einen Dämpfer gab es für die Ermittler. Den abschließenden Satz »Meine heutige Aussage kann ich jederzeit vor Gericht beeiden« korrigierte Mirko dahingehend, dass er »kann ich jederzeit« durchstrich und stattdessen einfügte: »werde ich nie freiwillig [vor Gericht beeiden]«. Er bestätigte diese Korrektur mit seiner Unterschrift.
Die Hoffnung, die Aussagen von Mutter und Sohn Scholz irgendwie unter einen Hut zu bringen, hatte sich damit zerschlagen. Trotzdem hielt Chefermittler Geier in einem Schreiben an Staatsanwalt Heindl vom 16. Juli 2002 fest: »Frau Edith Scholz ist sehr glaubwürdig und sie ist die einzige Zeugin, die den Tathergang offensichtlich unmittelbar vor dem Aufeinandertreffen des Ulvi Kulac mit der neunjährigen Peggy Knobloch gesehen hat. Die Zeugenaussage ist für das Verfahren von großer Bedeutung.«
Unumstritten war die Zeugin gleichwohl nicht. Es wirkte befremdlich, dass sie sich trotz früherer Befragungen erst nach über einem Jahr an diese entscheidende Begebenheit erinnerte. Das sorgte für Gesprächsstoff, auch unter ihren Arbeitskolleginnen. Im November 2002 etwa ging bei der Polizei ein Anruf von Regina Göpfert ein. Sie war die Wirtin des Lokals, in dem Edith Scholz als Aushilfe arbeitete. Sie sagte: »Es ist klar, dass wir uns in den letzten Monaten bzw. Jahren, ab dem Zeitpunkt, wo Peggy verschwunden ist, auch unterhalten haben über den Fall. Hier erzählte Frau Scholz, dass Peggy öfters bei ihnen hinten gespielt hätte. Sie wäre nicht nur einmal dort hinten gewesen, sondern öfters. Dann, im Frühjahr 2002, erzählte sie, dass sie zur Polizei gehen müsse, um eine Aussage zu machen. Wenn ich mich recht erinnere, sagte sie damals: ›Ich muss jetzt zur Polizei gehen, ich muss auch was zu dem Fall sagen.‹«
Bei ihrer Rückkehr habe sie berichtet, sie habe Ulvi am 7. Mai unten bei der Raiffeisenbank auf dem Platz gesehen. Mit einem Mädchen. »Auf meine Frage hin, ob es denn die Peggy gewesen sei, sagte sie, das wisse sie nicht, weil sie die Peggy überhaupt nicht kenne.« Das sei ihr komisch vorgekommen. Schließlich habe Edith bis dahin doch erzählt, dass Peggy des Öfteren »bei ihr hinten gewesen sei«. Die Wirtin beschloss das Telefonat mit den Worten: »Ich habe sehr lange überlegt, ob ich jetzt die Polizei anrufe oder nicht. Ich weiß nicht, ob das was zu bedeuten hat, aber es hat mir keine Ruhe gelassen, und deswegen habe ich jetzt angerufen.«
Die Ermittler befragten zu dieser Sache auch eine Angestellte aus dem Göpfertschen Lokal. Von Cornelia Runge wollten sie wissen, ob ihr nach dem Verschwinden von Peggy an Edith Scholz etwas Besonderes aufgefallen sei. Frau Runge erzählte, ihre Kollegin habe immer »sehr cool« reagiert, wenn es um den Vermisstenfall ging. »Auch hatte ich das Gefühl, dass es sie nicht übermäßig belastet, dass die Polizei gegen ihren Sohn ermittelt«, gab sie zu Protokoll. Für sie und ihre Arbeitskollegen sei es völlig überraschend gekommen, »dass sich plötzlich nach einem Jahr Frau
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