Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
meisten Polizeibehörden und Juristen die Reid-Methode ab. Der Münchner Strafverteidiger Sascha Petzold nennt sie eine Methode, mit der man zwar Geständnisse, aber nicht die Wahrheit gewinnt. Der frühere Kripo-Chef von Halle (Sachsen-Anhalt), Ottmar Kroll, sieht die Gefahr, dass vor allem die »Köderfrage« und die vorgegebenen Alternativantworten in Stufe sieben gegen die Strafprozessordnung verstoßen. Kroll hat über Verhörmethoden und die Problematik von Geständnissen zahlreiche Publikationen verfasst und für seine Arbeit 2010 den deutschen Kriminalistik-Preis bekommen. Auch abseits der rechtlichen Würdigung hält er nichts von der Reid-Methode. Ein Zyklus von solchen Verhören beruhe »zum Teil auf extrem manipulativen und Angst erzeugenden Methoden«, kritisiert Kroll. Die Art der Vernehmung erhebe nicht einmal den Anspruch, neutral vorzugehen, »sondern beginnt per definitionem mit einer Schuldannahme«.
Wie im Fall Ulvi. Offiziell will das Innenministerium zwar nicht bestätigen, dass die Reid-Methode auch bei seinen Verhören angewendet wurde. »Aus datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten können keine Angaben zu konkreten Fällen gemacht werden«, heißt es aus München. Aber möglicherweise war die Reid-Methode sogar ein auslösendes Motiv für die Gründung der Soko Peggy 2, denn mit der neuen Soko kamen Kriminalbeamte in das Verfahren, die in genau dieser Methode geschult waren.
Dass die Verhöre mit Ulvi Kulac nach der Reid-Methode strukturiert waren, zeigen die Verhörprotokolle und Berichte der Soko 2 deutlich. Sie finden sich etwa in einer Zusammenfassung, die Soko-Chef Geier am 5. August 2002 für den psychiatrischen Gutachter Hans-Ludwig Kröber anfertigte. Geier vermerkte darin ausdrücklich, dass sein Bericht nicht zur Hauptakte und damit auch nicht zu den Unterlagen für das Gericht gegeben werden sollte – mutmaßlich auch deshalb, weil er wusste, dass die Reid-Methode mit dem deutschen Strafprozessrecht nicht zu vereinbaren ist. Geier beschreibt darin das »Aussageverhalten« von Ulvi Kulac. Und diese Beschreibungen passen bestens zur Systematik der Reid-Methode.
Ulvi sei beim »ersten Kontakt mit KHK Römer und KHK Michler – bei den beiden Kollegen handelt es sich um das für den Beschuldigten zuständige Ermittlerteam – sehr zurückhaltend, fast scheu und wortkarg« gewesen. Das klingt beinahe prototypisch so, wie ein Schuldiger sich laut Reid-Methode in der Stufe eins verhalten würde. Ulvi habe immer wieder auf seinen Rechtsanwalt geschaut und nur »sehr leise, stockend und mit unvollständigen Sätzen« geantwortet.
Bei den folgenden drei Tonbandvernehmungen sei er dann nach »anfänglichem Unbehagen« aufgetaut. Er wurde »zugänglicher und aussagefreudiger«. Jedoch zeigte er »an nicht angebrachten Stellen ein verlegenes Lächeln«. Wurden die Fragen unangenehmer, habe er »des Öfteren zuerst Blickkontakt mit seinem Anwalt« gesucht. Bei »kritischen Fragen antwortete er nicht sofort und nahm sich längere Pausen heraus. Dabei hielt er mit den vernehmenden Beamten ständig Blickkontakt.« Nach der Reid-Systematik waren das die Stufen drei bis sechs.
Stufe sieben folgte dann bei dem umstrittenen und entscheidenden Verhör vom 2. Juli 2002. Da habe er sich erstmals »erkennbar nervös« gezeigt, was laut Reid als Zeichen für eine Lüge zu werten sei. Von der wahrheitswidrigen Konfrontation mit den Blutflecken auf dem Overall zu Beginn des Verhörs, die gewiss zur Nervosität beitrug, schreibt Geier hier übrigens nichts. Stattdessen fährt er fort: »Er [Ulvi] spielte fortwährend mit seinen Fingern, zog sich ein Heftpflaster von einem Finger, er rauchte vermehrt, seine Augen wanderten im Zimmer umher, und er vermied, soweit möglich, einen direkten Augenkontakt mit den vernehmenden Beamten. Außerdem zogen sich Speichelfäden zwischen seinen Lippen.«
Und dann folgte noch im selben Verhör Stufe acht der Reid-Methode: »Im Rahmen dieser Vernehmung legte der Beschuldigte ein Geständnis ab«, schrieb Geier.
Was er indes verschwieg, war der Umstand, dass das Verhör ohne Ulvis Anwalt stattgefunden hatte und dass er keine Tonbandaufzeichnung davon vorweisen konnte.
Kapitel 27
Unfehlbare Richter?
N icht nur unter Juristen kursiert das geflügelte Wort, vor Gericht und auf hoher See hilft dir nur der liebe Gott. Während die Seefahrt dank technischen Fortschritts in den letzten hundert Jahren bedeutend verlässlicher und sicherer wurde, ist der Ausgang eines
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