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Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)

Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)

Titel: Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ina Jung , Christoph Lemmer
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Peggy sei in der Badewanne ausgerutscht und mit dem Kinn auf den Wannenrand geschlagen. So steht es auch im Notfallschein des Kreiskrankenhauses Naila vom 16. April 2001: »Die junge Patientin ist heute wg. Schwindel in der Wanne ausgerutscht. Platzwunde am Kinn.«
    Version zwei stammt ebenfalls von Ruth Knobloch. Peggy sei nun doch nicht auf den Wannenrand gefallen, sondern auf den Fliesenboden im Bad. Und Version drei hat uns Peggys Freundin Sandra berichtet. Peggy sei am Mittag des Ostermontag bei ihr vorbeigekommen und habe ein Pflaster auf dem Kinn gehabt. Sandra habe gefragt, was passiert sei, und Peggy habe geantwortet, sie sei beim Rollerfahren gestürzt. Sandra sagte uns, sie habe das nie geglaubt. Sie habe eher den Eindruck gehabt, jemand habe Peggy geschlagen. Das sei ihr wohl unangenehm gewesen, und sie habe darüber nicht reden wollen. Was auch immer wirklich passiert war – jedenfalls wurde die Wunde im Krankenhaus mit fünf Stichen genäht.
    Dann erzählte uns Sandra schließlich ihre Variante über Peggys Ostertage. Peggy sei jeden Tag bei ihr gewesen, da sei sie sich sicher. Bevor wir Sandra in Berlin trafen, habe sie mit ihrer Mutter und ihrer Schwester gesprochen, die damals ebenfalls in Lichtenberg waren. Beide hätten sich an dasselbe erinnert wie sie, und demnach kam Peggy am Karfreitag, am Karsamstag, am Ostersonntag und am Ostermontag ins Ferienhaus der Kaufmanns. An einigen Tagen war sie schon am Vormittag gegen 10 Uhr da, an anderen erst gegen Mittag. Aber es sei jeden Tag spät geworden, wenn sie nach Hause ging, immer so zwischen 21 und 22 Uhr. Wo Peggy wirklich war – bei Großvater und Uroma oder bei Sandra Kaufmann und ihrer Familie –, haben wir am Ende nicht ermitteln können. Und Ahmet, der normalerweise mitbekam, wo sich seine Familie aufhielt, konnte auch nichts zur Aufklärung beitragen. Er war über Ostern mit Freunden in Holland.
    Nach den Ferien fuhr Sandra wieder nach Berlin, und wie es aussah, verschlimmerte sich Peggys Lage weiter. Eine Nachbarin erzählte uns, sie habe Peggy einmal hinter einem Treppenabsatz in ihrem Wohnhaus zusammengekauert entdeckt. Was los sei, fragte die Nachbarin. Sie wolle nicht heim, habe Peggy geantwortet.
    *
    Drei Tage nach Ostern ging Susanne mit Peggy zu einem Arzt. Sie erzählte ihm, ihrer Tochter gehe es nicht gut, sie sei nervös und aggressiv, zappelig und kaum zu bändigen. In der Schule könne sie sich nicht konzentrieren, die Noten würden abrutschen, auch essen würde sie schlecht. »Hyperaktivität, Migräne, Nasenbluten«, notierte der Arzt. Er schlug zunächst Ritalin vor, das Standardmittel, mit dem inzwischen Millionen Eltern ihre Kinder ruhigstellen. Am Ende entschied er sich für eine sanftere Variante und verschrieb Sedinfant N, ein pflanzliches Arzneimittel gegen Nervosität und Einschlafstörungen.
    Am 26. April kam Susanne noch einmal mit Peggy vorbei. Der Arzt zog die Fäden aus der verheilten Kinnwunde. Wieder klagte Susanne über Peggys Zappeligkeit. Nach wie vor schlafe das Kind auch nicht richtig ein. Nun griff der Doktor zu einem Hammer-Medikament und verschrieb Mel-Puren. Ein starkes Psychopharmakum, mit dem psychisch kranke und ältere Patienten ruhiggestellt werden. Verschreibungsanlässe sind Schlafstörungen, aber auch Verwirrtheit, Unruhe- und Erregungszustände, außerdem Demenz, Alkoholkrankheit und Psychosen. Von einer Vergabe an Kinder wird im Beipackzettel ausdrücklich abgeraten.
    Besser wurde Peggys Zustand nicht. Sie zerkaute ihre Fingernägel und zeichnete Männchen mit großen Genitalien, aus denen Flüssigkeit heraustropfte. »Pimel« und »Bulerman« schrieb sie neben die Bilder.
    Vieles an Peggys Verhalten deutet darauf hin, dass sie sexuell missbraucht wurde. Und zwar lange vor dem vermeintlichen Missbrauch durch Ulvi.
    Die letzte Woche ihres Lebens verbrachte Peggy fast nur noch in der Wohnung. Sie saß still auf dem Sofa und guckte auf den Fernseher. Susanne bekam das selbst gar nicht mit, wie sie in einer Vernehmung sagte. Sie habe Spätdienst gehabt. Erst Ahmet erzählte ihr davon, weil dieses Verhalten so gar nicht zu Peggy passte. Sie sei ja eigentlich eher der Typ gewesen, der gerne in Bewegung war, draußen im Ort unterwegs.
    Am 7. Mai war Peggy dann weg. Am 8. Mai erfuhr Sandra Kaufmann, wieder zurück in Berlin, aus den Fernsehnachrichten davon. Drei Wochen später, sagte uns Sandra, habe sie womöglich ein letztes Lebenszeichen von Peggy erhalten. Es war gegen 19 Uhr. Sie war allein zu

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