Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
Kehrtwende scheint folgender Vorfall gewesen zu sein: Kurz nach seiner Entlassung, erinnert er sich, sei er Ulvis Eltern in einem Einkaufszentrum über den Weg gelaufen. Vor allem Ulvis Mutter würde ihn hassen. Wenn sie ihn im Bezirkskrankenhaus gesehen habe, hätte sie sogar vor ihm ausgespuckt. Deshalb habe er den Kontakt, so gut es ging, vermieden. Diesmal aber sei er direkt auf sie zugegangen. »Ich habe sie dann angesprochen und habe gesagt, dass ich was Falsches gesagt habe und dass ich das wiedergutmachen möchte.« Ulvis Mutter habe geantwortet, dass sie ihm dafür kein Geld geben könne. Hermann entgegnete, er wolle keines.
Nachdem Hermann seine Erklärung an Eides statt abgegeben hatte, eröffnete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen unbekannt wegen »Aussageerpressung«. Hermann musste zum Verhör und sollte offenbaren, wie seine damaligen Aussagen zustande gekommen waren. Er erzählte, manches habe er sich gar nicht selber ausgedacht, die Polizisten hätten es ihm vielmehr in den Mund gelegt. Anderes habe Ulvi wirklich erzählt, vor allem sexuelle Geschichten, wobei ihm nie ganz klar gewesen sei, was davon Wahrheit und was Prahlerei war. Aber eines habe Ulvi niemals erzählt: dass er Peggy umgebracht oder erdrosselt habe. Da sei Kulac eisern geblieben, egal, wie er ihn gelockt oder unter Druck gesetzt habe. Immer wieder habe er auf ihn eingeredet, ihm auch den Mord zu beichten, schließlich sei ja genau das der Grund gewesen, weshalb die Ermittler »ständig hinter Ulvi her gewesen« seien. Das sei am Ende sogar dem Klinikpersonal aufgefallen. Eine Ärztin habe ihn sogar mit der Begründung, »ich hätte den Ulvi zu sehr bedrängt«, in eine andere Abteilung verlegen lassen.
Für Polizei und Justiz war Hermanns überraschende Aussage ein Debakel, das Presseecho war vernichtend. Die Medien berichteten, der Fall Peggy müsse jetzt neu verhandelt werden. Nicht nur, weil der »Kronzeuge« seine Aussage zurückgenommen habe, sondern auch, weil Hermann die Polizei offen illegaler Methoden bezichtigte: »Man hat mir eingetrichtert, dass er [Ulvi] gesagt haben soll, er habe sie gedrosselt«, so Hermann. »Man hat mir die Freiheit versprochen und so lange auf mich eingeredet, bis ich das gesagt habe.« Ein Punkt, den er immer wieder betonte: »Nochmals: Man hat mir gesagt, dass ich aussagen soll, er hat sie umgebracht, gedrosselt, bis sie tot war. Am schlimmsten war der Chefermittler.«
Es ist wohl nicht anders als bei den beiden Kinderzeugen Sebastian Röder und Jakob Demel: Die Polizei erfand offenbar einen Handlungsablauf, der in ihr Wunschschema passte. Aber Hermann spielte das Spiel nicht nur bis zum Prozessende und dem Urteil gegen Ulvi Kulac mit, seine Aussage führte letztlich zur Verurteilung.
Dabei hätten die Richter gewarnt sein können. Schon im Prozess gegen Ulvi Kulac wurden Zweifel an Hermanns Glaubwürdigkeit laut. Am deutlichsten äußerte die ein Zeuge namens Egon Vorndran. Er war ebenfalls Insasse in der Bayreuther Psychiatrie und kannte Hermann. Die Richter fragten ihn, was er von ihm halte. Vorndran antwortete unmissverständlich: Hermann sei ein notorischer Lügner und würde alles dafür tun, um aus der Klinik herauszukommen. Das Gericht schlug diese Warnung in den Wind.
Teil 4
War ein anderer der Täter?
Kapitel 29
Dubiose Kinderbetreuung im Gasthof »Zur goldenen Sonne«
S chon bald nach Peggys Verschwinden kursierte unter den Reportern, die über den Fall berichteten, das Gerücht, es gebe in Lichtenberg einen Kinderpornoring. Quelle dieses Gerüchts war die Polizei. Einige Beamte der Soko Peggy hatten Journalisten ihren Verdacht vertraulich geschildert. Noch heute sind einige der Ermittlungsbeamten davon überzeugt, dass es in Lichtenberg eine organisierte sexuelle Ausbeutung von Kindern gab. Ein Schauplatz soll das Gasthaus »Zur goldenen Sonne« am Marktplatz gewesen sein.
Peggy, die schräg gegenüber wohnte, soll dort so etwas wie ein Stammgast gewesen sein. Jedenfalls sagte uns das der damalige Wirt, ein Mann namens Ben Schneider. Wir suchten Schneider in seiner Wohnung in Lichtenberg auf, die sich in einem völlig verwahrlosten und zugemüllten Zustand befand. Seit dem Tod seiner Frau lebt er dort allein, aber auch früher scheinen die Verhältnisse kaum besser gewesen zu sein. Polizeibeamte, die das Ehepaar nach Peggys Verschwinden verhörten, protokollierten Schmutz und Unrat. Schneiders Frau habe verschämt zwei Bierdosen unter einer Decke
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