Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
Richtigen verurteilt habe. Den Mörder. Und dass man einen Mörder ja nur dann verurteilen könne, wenn ein Mord stattgefunden habe. Und dass Peggy deshalb auch nur tot sein könne.
Das mag Susanne Knobloch von anderen Müttern unterscheiden, deren Kinder spurlos verschwanden, etwa dem britischen Ehepaar McCann, das auch nach Jahren bis heute nach ihrer verschwundenen Maddy sucht. Und Experten wie der Kriminologe Adolf Gallwitz sagen, dass Eltern einen eingebauten psychologischen Mechanismus besäßen, der sie daran hindere, ihr verschwundenes Kind ohne zwingenden Beweis für tot zu halten. Was im Kopf von Susanne Knobloch vorging, können Außenstehende dennoch kaum nachvollziehen. Das Urteil mag für sie ein solcher zwingender Beweis gewesen sein.
Andererseits ist Peggy im streng amtlichen Sinne bis heute zumindest nicht letztgültig für tot erklärt. Es gibt zum Beispiel keinen Totenschein, der auch Leichenschauschein genannt wird, denn den gibt es nur, wenn man eine Leiche vorweisen kann. Und ohne diesen Schein gibt es wiederum keine Sterbeurkunde vom Standesamt. Ohne Sterbeurkunde wiederum bleibt die betreffende Person, in diesem Fall also Peggy, im Melderegister stehen, als lebende Person, da ja der Tod nicht ordnungsgemäß nachgewiesen wurde. Ordnung muss schließlich sein. Darum bekommen Peggy und ihre Mutter bis zum heutigen Tag immer wieder amtliche oder halbamtliche Briefe – vom Schulamt, von der Krankenkasse, von der Bank, zuletzt sogar von der Wahlbehörde, weil Peggy, würde sie noch leben, ja inzwischen volljährig und damit wahlberechtigt wäre.
Als Susanne Knobloch im Frühjahr 2005 mit dem Pfarrer sprach, hatte sie daher auch keinen Totenschein und keine Sterbeurkunde dabei, sondern legte dem Pfarrer das Gerichtsurteil als Nachweis dafür vor, dass ihre Tochter tot sei. Und dann fragte sie ihn, ob der Platz zum Gedenken an Peggy nicht auf dem kleinen Friedhof hinter der Jubilatekirche im Grund eingerichtet werden könne.
Der Geistliche sagte damals nicht ja, aber auch nicht nein. Er versprach, ihren Wunsch mit dem Gemeindekirchenrat zu besprechen und sie so schnell wie möglich über die Entscheidung zu informieren. Die kam dann auch ein paar Tage später. Die Gemeinde sei einverstanden, teilte der Pfarrer Susanne Knobloch mit. Sie dürfe eine Gedenkstätte für ihre Tochter auf dem Kirchhof einrichten und möge sich bitte überlegen, wie diese aussehen solle.
Das tat Susanne Knobloch dann auch – wobei sie von der Gestaltung der Gedenkstätte eine etwas andere Vorstellung hatte als der Pfarrer und die Gemeinde. Er habe mit einer Steinplatte an der Umfriedungsmauer oder etwas Ähnlichem gerechnet, so der Pfarrer rückblickend.
Als sich Susanne Knobloch im September 2005 wieder bei ihm gemeldet und ihm mitgeteilt habe, alles sei schon fertig, da sei er denn doch, gelinde gesagt, überrascht gewesen. Denn als er dann zum Friedhof gefahren sei, um nachzusehen, sei er »vor Schreck fast hintübergefallen«. Dass die Gedenkstätte aussehen könnte wie ein Grab, nur eben ohne Sarg und ohne Leiche, damit habe er nicht gerechnet. Das habe Peggys Mutter mit dem Steinmetz auf eigene Faust so ausgetüftelt, und ja, er hätte vielleicht früher nachfragen und genauer hinschauen müssen, als diese Stätte eingerichtet wurde. Hätte er mitbekommen, was da passiert, hätte er sicher Einspruch erhoben. Wo doch das Kind noch gar nicht tot war. Also nicht so richtig. Aber jetzt war es passiert. Was tun?
Der Pfarrer bekam Ärger. Der Gemeindekirchenrat befasste sich noch einmal mit Peggys Grab, es kam zu einer kontroversen Debatte. Einige wollten den Stein wieder abbauen, aber am Ende beschloss die Mehrheit, das Grab zu lassen, wie es war. Nicht etwa deshalb, weil die Kirchenräte diesen leeren Schacht für angemessen hielten – sie fanden die ganze Sache geschmacklos –, sondern weil sie einer leidgeprüften Mutter die Gedenkstätte für ihre ermordete Tochter nicht wieder nehmen wollten. Egal, ob Susanne Knobloch mit dieser Art von Gedenkstätte vielleicht zu weit gegangen war.
Es gab dann sogar noch eine kleine Prozession, bei der Peggys Mutter mit ihren Eltern und einigen wenigen engen Freunden auf den kleinen Friedhof hinter der Jubilatekirche in Nordhalben fuhr, um gemeinsam Abschied von Peggy zu nehmen. Fast so wie bei einer richtigen Beisetzung. Obwohl es natürlich keine Beisetzung gewesen sei, sondern eben nur eine Gedenkfeier, wie der Pfarrer uns gegenüber betonte. Er sei auch dabei gewesen
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