Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
versteckt.
Peggy sei praktisch jeden Tag in sein Lokal gekommen und habe entweder im Gastraum oder in einem Nebenzimmer, genannt Jägerstüberl, ihre Hausaufgaben erledigt, erzählte uns Schneider. Seine Frau oder sein Sohn hätten ihr dabei immer geholfen. Normalerweise sei sie zuerst zu sich nach Hause gegangen und habe geschaut, ob dort etwas zu essen zu finden war. Wenn nicht – wie meistens –, sei sie gleich zu ihm ins Gasthaus gekommen, den Schulranzen immer bei sich. Nach den Hausaufgaben sei sie oft noch bis zum Abend geblieben, meist so bis 20 Uhr, während schon die ersten Gäste am Tresen standen und rauchten und tranken. Peggy sei nicht das einzige Kind gewesen, das regelmäßig bei ihm einkehrte. Vielmehr habe es eine ganze Clique gegeben, die offenbar nichts Besseres vorgehabt habe, als ihre Nachmittage und Abende im Gasthaus »Zur goldenen Sonne« zu verbringen. Was die Kinder dort hinzog und warum sie immer wieder vorbeikamen, erzählte Schneider nicht. Der Wirt besaß damals zudem ein Wochenendgrundstück an einem nahe gelegenen See. Die Polizei durchsuchte nach Peggys Verschwinden die Hütte auf dem Grundstück und fand dort Dutzende Stofftiere. Warum Schneider in seinem Wochenendhaus Stofftiere hortete, diese Frage wurde nie plausibel geklärt. Auch uns antwortete er nicht darauf.
Als Peggy am 7. Mai 2001 verschwand, war Schneider nicht mehr Pächter des Lokals. Die Eigentümerin hatte seinen Vertrag gekündigt, weil er die Pacht nicht mehr aufbringen konnte. Die Soko Peggy interessierte sich dennoch für den Gasthof »Zur goldenen Sonne«. Sie vermutete, hier könnten sich Verbindungen angebahnt haben, die am Ende zu Peggys Verschwinden geführt haben könnten. So soll zum Beispiel Ulvi Kulac dort häufig ausgeholfen haben. Er habe bei ihm Bier gezapft, sagte Schneider. Ulvi habe sogar ein eigenes Kämmerchen im Haus gehabt, in dem er übernachten konnte. Zudem scheint er eine Affäre mit Schneiders Ehefrau gehabt zu haben, was diese im Polizeiverhör in Gegenwart ihres Mannes zwar nicht so direkt einräumte, aber sagte, Ulvi habe des Öfteren nackt und mit erigiertem Penis vor ihr in ihrem Schlafzimmer gestanden. Ulvi und Peggy hätten sich oft im Gasthaus gesehen. Wenn Peggy abends ging, habe Ulvi immer den Kavalier gespielt und habe draußen geschaut, ob sie auch sicher auf der anderen Seite des Marktplatzes bei ihrer Wohnung ankomme.
Will man Schneider glauben, müssen im Gasthaus »Zur goldenen Sonne« eigenartige Gepflogenheiten geherrscht haben. Der Wirt erzählte, die Kinder, auch Peggy, hätten sich nicht nur im Jägerstüberl getummelt, sondern immer wieder auch in seinem Haus übernachtet. Etwas beklemmend klingt, wie er Peggy beschreibt. Sie habe irgendwann damit begonnen, sich »aufreizend« zu kleiden. Ihr Oberteil sei tief ausgeschnitten gewesen, dazu habe sie Hotpants und hochhackige Schuhe getragen. »Die hat sich angezogen wie eine vom Strich«, sagte Schneider. Er habe sie ermahnt, sie könne so nicht herumlaufen, worauf sie gesagt haben soll: »Das lass mal meine Sorge sein.«
Im Sommer 2000 habe er Peggy und andere Kinder immer wieder in seine Wochenendhütte am See mitgenommen. Er erinnere sich, wie Peggy im Badeanzug vor ihm gestanden und ihm gefallen habe. »Die ist sehr hübsch geworden«, schwärmte er mit glänzenden Augen. Danach hätten sich ihre Wege aber getrennt, denn im Sommer 2000 habe er das Gasthaus »Zur goldenen Sonne« aufgeben müssen und Peggy aus den Augen verloren.
*
Die Polizei vernahm zahlreiche Zeugen, um mehr über den Umgang mit Kindern in Schneiders Lokal und über Ulvi Kulacs Rolle zu erfahren, aber ohne Erfolg. Der Verdacht, dass reihenweise Kinder missbraucht worden sein könnten, ließ sich nicht erhärten. Auch vieles, was Schneider erzählte, erscheint nach Nachprüfung dubios. Sein Sohn sagte uns, er habe Peggy niemals bei Hausaufgaben beaufsichtigt. Peggys Lehrerin befragten wir nach äußerlichen Veränderungen, also Schminke und aufreizender Kleidung. Ihr sei davon nichts aufgefallen, antwortete sie. Mag sein, dass sich das Kind »extra« zurechtmachte oder zurechtmachen ließ. Ein Zeuge, der ungenannt bleiben möchte, erklärte uns offen, in der »Sonne« seien Kinder missbraucht worden. An bestimmten Tagen seien da regelmäßig zwei Männer »von außerhalb« gekommen. Erhärten ließ sich dieser Verdacht nicht. Und auch das Kämmerchen, in dem Ulvi Kulac immer wieder übernachtet haben soll, konnte im Haus nicht gefunden
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