Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
Haus. Das Telefon klingelte. Peggy war dran, jedenfalls sei es Peggys Stimme gewesen. Sie habe gesagt: »Hallo Sandra, hier ist Peggy. Mir geht es gut, aber ich weiß nicht, wo ich bin.« Sandra habe sie etwas fragen wollen, aber plötzlich sei nur noch ein tüt, tüt, tüt in der Leitung zu hören gewesen. Das Gespräch war unterbrochen.
Seitdem habe sie nichts mehr von Peggy gehört.
Seitdem ist Peggy verschwunden, spurlos. Bis heute.
*
Nur wenige Wochen nach dem mysteriösen Verschwinden ihrer Tochter – da hatte sich Susanne wieder einmal von Ahmet Yilmaz getrennt – verließ Peggys Mutter Lichtenberg. Peggys Kleidung übernahm die Kripo, die Möbel aus dem Kinderzimmer, das Bettzeug und die Spielsachen landeten in einem Container vor dem Haus am Marktplatz 8. Sie habe das Getratsche und die vernichtenden Blicke der Lichtenberger nicht mehr ertragen, las man über den Umzug in den Zeitungen. Kaum jemand verstand, warum sie dem Ort den Rücken kehrte, ohne Gewissheit über den Verbleib der Tochter zu haben. Empört erzählte uns eine Lichtenberger Bürgerin, jemand habe Susanne in einem Lokal einmal auf Peggy angesprochen. Die Mutter habe sehr heftig reagiert und gesagt, es sei ihr egal. Andere erklärten, Susanne habe wenige Tage nach Peggys Verschwinden in einem Motorradclub auf dem Tisch getanzt. Alles nur böser Klatsch? Oder trifft eher zu, was einer der Kriminalhauptkommissare zu diesem Vorfall bemerkte? Der meinte nur: »Jeder trauert anders.«
Kapitel 31
Das Grab
E in kleiner Friedhof hinter einer malerischen, rot gestrichenen und mit schwarzem Schiefer gedeckten Kirche, eingebettet in ein enges Tal. Ringsum die steilen, baumbewachsenen Anhöhen des Frankenwaldes. Die Lage hier im Grund, wie dieser Ortsteil des Städtchens Nordhalben zu Recht heißt, ist ausgesprochen idyllisch. In der ersten Gräberreihe ganz rechts außen befindet sich das Grab von Peggy Knobloch. Auf dem Grabstein stehen das Geburtsdatum 6. April 1992 – und das vermeintliche Todesdatum 7. Mai 2001. Darunter in weißer Schrift der Spruch: »Wer nicht an Engel glaubt, der ist dir nie begegnet.« Links oben ist ein Foto von Peggy angebracht, umrahmt von eingravierten Rosenornamenten. Vor dem Grabstein liegen Spielsachen – kleine Püppchen, ein Herz aus Holz –, eine gusseiserne Lampe mit einer weißen Kerze darin steht davor. Das Grab wirkt ausgesprochen gepflegt, eine Schale mit einem Gesteck und frische Blumen zeugen davon, dass sich zumindest ein Gärtner regelmäßig darum kümmert. Was man dagegen nicht sieht: Das Grab ist leer. Unter der sorgfältig geharkten Erde gibt es keinen Sarg und keine Leiche.
Etwa ein Jahr nach der Verurteilung Ulvi Kulacs hatte Susanne Knobloch den Gemeindepfarrer von Nordhalben aufgesucht. Das Gebiet der evangelischen Gemeinde umfasst auch Heinersberg, wo Susanne Knobloch inzwischen wohnte. Es war ein langes Gespräch, das die beiden miteinander führten. Sie brauche einen Ort, an dem das Andenken an ihre Tochter lebendig bleibe, sagte Susanne Knobloch. So ähnlich hatte sie sich schon kurz nach dem Urteil gegen Ulvi Kulac geäußert. Sie wolle Abschied nehmen können, sagte sie in der Fernsehtalkshow von Johannes B. Kerner.
Der Pfarrer, ein schmächtiger Mann, der einen breiten fränkischen Dialekt spricht, empfahl der Mutter, eine Gedenktafel an dem blauen Haus in Lichtenberg anbringen zu lassen, in dem sie früher mit Peggy gewohnt hatte. Das lehnte Susanne Knobloch entschieden ab. Die Lichtenberger seien ihr gegenüber feindselig gesinnt, sie werde von den Leuten geschnitten. Sie wolle da nicht hinfahren, um sich trauernd nahe dem Marktplatz vor einen Gedenkstein zu stellen, während die Leute hinter ihr tratschten. Sie erzählte dem Pfarrer, wie sie noch Monate nach Peggys Verschwinden gehofft hatte, ihre Tochter lebend wiederzusehen. Wie diese Hoffnung dann geschwunden, aber jedes Mal zurückgekehrt sei, wenn sich wieder ein Zeuge bei der Polizei gemeldet hatte, der Peggy irgendwo gesehen haben wollte. Wie sie dann vom Verdacht gegen Ulvi Kulac gehört und mitbekommen habe, dass der Sohn ihrer Freundin Katja Ludwig die Tat beobachtet haben wollte. Wie empört die Leute in Lichtenberg auf diesen Verdacht reagiert hätten, die Alteingesessenen, mit denen sie nie warm geworden sei und die »ihren Ulvi« verteidigt und sie zur Außenseiterin gestempelt hätten. Als das Urteil gefallen war, da sei sie überzeugt gewesen, dass ihre Tochter wirklich tot war und das Gericht mit Ulvi den
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