Der Fall Sneijder
Zahlen und nochmals Zahlen. Ich habe alle Primzahlen bis 50 000 in mein Heft geschrieben. Letztens habe ich auf dem Kalender die Zahl 2011 gesehen; von der weiß ich, dass sie eine Primzahl ist. Da ist mir aufgefallen, dasssie spiegelverkehrt die 1102 ergibt. Und daraufhin, weiß der Teufel warum, multipliziere ich 1102 mit 2011; und es ergibt 2 216 122. Ist das zu fassen? Eine Palindromzahl. Man kann sie in beide Richtungen lesen. Nur zu, probieren Sie es selbst.«
So war mein neuer Chef: gebürtiger Grieche, unverbesserlicher Armbandzupfer, leicht neurotisch, zwischen Menschen und Hunden lebend, und in der Tasche genügend Material, um Fermats Großen Satz infrage zu stellen, den sein Verfasser vor dreihundertfünfzig Jahren als Hypothese formuliert und kurz vor seinem Tod mit der großartigen Anmerkung versehen hatte: »Ich habe hierfür einen wahrhaft wunderbaren Beweis gefunden, doch ist dieser Rand zu schmal, um ihn zu fassen.«
»2 216 122, nicht übel, was? Und wissen Sie auch, welches das nächste Jahr ist, das eine Primzahl darstellt und, mit der gespiegelten Zahl multipliziert, ein Palindrom ergibt? 2111. Sehen Sie? 2111 multipliziert mit 1112 ergibt 2 347 432.«
Ich habe keine Ahnung, was derartige Menschen antreibt. Auch kenne ich nicht die Gründe für eine solche mathematische Schwärmerei. Von Charisteas kann ich nur sagen, dass es mir vorkam, als hätte er sich dem Unglück gegenüber abgekapselt, als führte er in seinem schwarzen Notizheft stets ein paar Beweise mit sich, weil er insgeheim ahnte, dass die Ränder des Lebens »zu schmal waren, um sie zu fassen«.
Als wir beim Abschied unter dem Firmenschild mit den goldenen Lettern von DogDogWalk standen, ergriff Charisteas meine Hand und hielt sie einen Augenblick in seiner, ähnlich wie jene asketischen Pastoren, die zu lange dem Fleisch entsagt haben.
»Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen diese Frage stelle, sie gehört gar nicht hierhin, aber … sind Sie in gutem Einvernehmen aus der SAQ ausgeschieden?«
»Sicher.«
»Könnten Sie mir wohl fünfzehn Flaschen Ouzo 12 von den Brüdern Kalogiannis besorgen? Zu einem guten Preis? Wäre das möglich?«
Ich kehrte früh nach Hause zurück, lange vor Anna, mit dem vagen Gefühl, eine Pflicht erfüllt zu haben. Ich hatte eine neue Arbeit und die Aussicht auf ein Gehalt, das meinen bescheidenen Bedürfnissen genügen würde. Die Anstellung würde so lange dauern, wie sie eben dauerte. Außerdem wären Winter und Schnee in einem Monat vorüber. Dann ginge wieder das ungeduldige Warten auf die wärmeren Tage los.
Als ich zu Hause ankam, sah ich zwei Elektriker mit allerlei Kabeln und Steckdosen in der Hand ein- und ausgehen. Zuerst dachte ich, es handele sich um Angestellte der Telefon- oder Rundfunkgesellschaft. Doch sie verfolgten ein ganz anderes Ziel. Sie arbeiteten für Locksmith Digital und erklärten mir, Madame Sneijder habe ihnen die Schlüssel dagelassen, damit sie die neue Alarmanlage installieren konnten. Als sie mein überraschtes Gesicht sahen, bemühten sie sich, die Vorteile der neuesten Zentralen und Sensoren, der Bewegungsmelder und der 2-Draht-Bus Türanlagen anzupreisen, die sie mit einem Satz Bewegungsmeldern für den Außenbereich und einem Einbruchmelder verbunden hätten, der erst eine Sprachwarnung geben und dann laute Signaltöne erzeugen würde, um Einbrecher in die Flucht zu schlagen, bevor sie auch nur den Versuch unternehmen konnten, etwas Unrechtes zu tun. »In einer Stunde sind wir fertig«, sagte der Aufmerksamerevon den beiden. »Ja, in einer Stunde, locker«, bekräftigte sein Assistent. Annas Auftrag war so gut wie ausgeführt.
Personen und Güter wären bald bestens geschützt. Aber deswegen konnte ich noch lange nicht verstehen, was meine Frau dazu trieb, das Haus mit einer solchen Sicherheitsanlage zu versehen; ich begriff nicht, welch dunkle Angst sie quälte. Schließlich haben wir nie etwas besessen, das den Wert eines IKEA-Ecksofas überstiegen hätte, und nun gab sie Unsummen für eine Technik aus, in die selbst eine robuste Depotbank nicht ohne Weiteres investiert hätte.
Beim Nachhausekommen fragte mich Anna, ob die Elektriker da gewesen wären. Ich bejahte, alles sei in bester Ordnung, nun seien wir vor allem geschützt, außer vor uns selbst. Sie sah mich giftig an wie ein übel gelaunter Abteilungsleiter, ging hinüber ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Während die Stimme des Nachrichtensprechers allmählich das Erdgeschoss erfüllte,
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