Der Fall Sneijder
Gärten nur selten ein Rudel riesiger Hunde einen armen Teufel hinter sich her zerren, der vergeblich versucht, die unvorhersehbaren Verhaltensweisen seiner Schützlinge in den Griff zu bekommen.
Bei den Handlern oder Vorführern sieht es schon anders aus. Handler gelten als Hüter eines Geheimwissens; einige von ihnen werden unter Züchtern hoch gehandelt und haben teilweise divenhafte Allüren. Dabei sind die wie Zeugen Jehovas gekleideten Handler mit ihren Lackschühchen ziemlich lächerliche Figuren – halb Gesellschaftstänzer, halb Hürdenläufer. Sie begleiten die Wettbewerbshunde auf die Bühne – den Ring –, trotten mit ernster Miene neben ihnen her und führen sie den Zuchtrichtern vor, wobei sie den Schwanz des Hundes anheben, ein wenig so, wie man eine Schleppe oder das Seil eines Gehängten trägt, um ihm ein eleganteres Aussehen zu verleihen. An den Wochenenden werden diese Veranstaltungen massenhaft im Fernsehen übertragen; im ganzen Land kommen Züchter und Hundeliebhaber zusammen: Ein Publikum, das stundenlang über die Vorzüge dieses oder jenes Hundefutters fachsimpeln kann, das angeblich das Fell des Tieres zum Glänzen bringt, die Knochen stärkt, die Zähne pflegt, ihm Kraft verleiht und darüber hinaus natürlich auch ein langes sorgloses Leben verspricht.
DogDogWalk befindet sich auf der Ile des Sœurs, demselben 3,74 Quadratkilometer großen Stück Land, auf dem sich auch Annas Unternehmen niedergelassen hat. Der Fluss,ein ausgedehntes bewaldetes Gebiet, Parks, Gärten, ein Golfplatz, Glastürme, Bauten, die die Handschrift von Mies van der Rohe tragen, massive Bürgerhäuser, ein paar Bootsanleger, Luxusautos und so viele Annehmlichkeiten, wie man eben braucht. Wenn man in dieser landschaftsgärtnerisch gestalteten Enklave spazieren geht, begreift man schnell, warum DogDogWalk sich an dieser Stelle der Stadt angesiedelt hat. Hier regiert das Geld, und die Hunde werden wie Fürsten behandelt. Es gibt so viele von ihnen, dass man manchmal den Eindruck gewinnt, die Menschen wohnten hier bloß, um den Hunden Gesellschaft zu leisten.
Das Büro von DogDogWalk liegt im Westteil der Insel. Ein kleines backsteinverkleidetes Gebäude, in dessen Garten ein paar zerzauste Trauerweiden ihre Zweige schwingen.
»Guten Tag, ich melde mich auf die Anzeige.«
»Haben Sie vorhin angerufen? Monsieur Sawyer, stimmt’s?«
»Sneijder.«
»Oh, Verzeihung. Herzlich willkommen.«
Yorgos Charisteas stellte sich mir als »die Seele des Unternehmens« vor. Er war etwa vierzig Jahre alt und schien eine komplizierte Vergangenheit gehabt zu haben. Er besaß keine feinen Manieren, weder Charme noch Eleganz, aber erfreute sich ganz offensichtlich seines Lebens. Im Übrigen spielte er ständig an dem Metallarmband seiner Uhr – eines billigen Markenimitats.
»Verstehen Sie es bitte nicht falsch, aber ich habe Sie, nun, wie soll ich sagen, ich habe Sie für jünger gehalten. Normalerweise stellen wir Studenten ein oder Leute, die auf der Suche nach ihrem ersten Job sind. Das ist bei Ihnen offensichtlich nicht der Fall. Aber das spielt keine Rolle. Sie haben mir amTelefon gesagt, Sie seien Franzose und Ihre Frau würde auch auf der Insel arbeiten.«
»Ja, bei Bell.«
Ich überreichte ihm einen kurzen Lebenslauf. Charisteas wirkte angenehm überrascht, dass ich mehrere Jahre als Angestellter bei der SAQ gearbeitet hatte, einer Einrichtung, von der er offensichtlich eine hohe Meinung hatte. Während er nervös an seinem Armband fingerte, fragte er:
»Verfügen Sie über irgendwelche Vorkenntnisse? Haben Sie schon einmal für eine Firma wie die unsrige gearbeitet?«
»Ich habe Hunde ausgeführt, wurde aber noch nie dafür bezahlt.«
»Und Handler? Haben Sie je von der Tätigkeit gehört?«
»Ich habe im Fernsehen einige Vorführungen gesehen.«
»Sind Sie körperlich fit, keine Gelenkprobleme?«
»Alles bestens.«
»Und Hunde? Mögen Sie Hunde?«
»Ich hatte selbst einmal welche.«
»Und?«
»Sie sind gestorben.«
Charisteas strich sich mehrmals mit dem Zeigefinger über die Unterlippe, als wollte er sich ihrer Wölbung vergewissern. Er schlug eine Akte auf, klappte sie wieder zu, machte sich ein paar dringlich wirkende Notizen und zupfte an seinem goldenen Armband. Dann blickte er plötzlich auf die Uhr und lehnte sich in seinen Sessel zurück, der dabei einen kleiner Seufzer von sich gab.
»Monsieur Snapper …«
»Sneijder.«
»Entschuldigung, ich hatte schon immer Probleme, mirNamen zu merken.
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