Der Fall Sneijder
wurde durch den Schnee noch unterstrichen. Watsons Herrchen hieß Jim Cudmore. Wie ich mit der Kapuze und dem weiten schwarzen Dienstcape im weißen Nebel stand, gab ich für die Leute des Viertels sicher ein seltsam beunruhigendes Bild ab. Unter dem breiten Portal ging das Licht an, und ein Mann erschien an der Tür.
»Guten Abend, ich bringe Watson zurück.«
»Ich danke Ihnen. Aber er ist ja voller Schnee. Ich werde warten, bis er sich geschüttelt hat, bevor ich ihn hereinlasse.«
»Auf jeden Fall wollte ich Ihnen sagen, wie entzückend er war. Ein braves Tier, und so gehorsam.«
Cudmore hob den Blick und sah mich mit einer gewissen Verachtung an.
»Sind Sie neu?«
»Ja.«
»Dann hören Sie ein für alle Mal mit diesen lächerlichen Schmeicheleien auf. Alle Welt weiß, dass dieser Hund unerträglich ist und auf niemanden hört.«
Ich kehrte zurück zu dem Gebäude, das ich bereits als mein »Büro« bezeichnete, und wählte diesmal einen Pfad durch ein kleines Gehölz. Das verlöschende Tageslicht war ergreifend und verlieh dem Schnee eine violettrote Nuance. Der frisch gefallene, noch luftige Schnee knirschte bei jedem Schritt. Ich dachte an all die Hunde, die auf dieser Insel lebten. Was mochte ihnen von ihren ursprünglichen Instinkten bleiben? Sie rannten niemals frei umher. Sie sprangen von einem Lexus in einen Audi Quattro. Und so oft wie sie gebadet wurden, hatten sie sicher keinen Eigengeruch mehr. Sie waren fast zu Katzen geworden. Es mochte hier und da noch ein paar Frevler wie Watson geben, der nicht gerade dem lokalenProfil entsprach und bei dem man sich ernsthaft fragte, welches Wunder ihn in ein solches Haus geführt hatte.
Bei meiner Rückkehr begleitete mich Charisteas zum Zwinger, damit ich mir die Hunde einprägte, die darauf warteten, von ihren Besitzern abgeholt zu werden. Er zeigte mir fünfzehn Tiere. Bald würde ich sie auf den ersten Blick erkennen, versicherte er mir, und sie würden mich ihrerseits binnen kurzer Zeit als ihren regelmäßigen Ausführer adoptieren.
Für die Heimfahrt nahm ich wieder den Bus. Wegen des Schnees war der Verkehr extrem stockend. Meine Beine taten mir allmählich weh. Es gab keinen freien Sitzplatz. Die Leute wirkten erschöpft und schienen damit beschäftigt zu sein, innerlich gegen die Kälte anzukämpfen. Eine Station folgte auf die nächste, einsteigen, aussteigen. Und so war es jeden Tag des Jahres, Sommer wie Winter. Auf dieser Linie wie auf allen anderen. Wie waren wir dazu gekommen, so zu leben, all das hinzunehmen? Warum dienten unsere Zähne zu nichts anderem mehr, als Zahnspangen zu tragen? Seit wann hatten wir nicht mehr zugebissen? Die Aufzüge waren nicht ganz unbeteiligt an der Beschleunigung dieser Leibeigenschaft, dachte ich bei mir. Das würde ich zu gegebener Zeit beweisen.
Der Tag war vergangen, ohne dass ich ein einziges Mal an meine Frau und ihr Unternehmen gedacht hatte, dessen Sitz kaum zehn Minuten von DogDogWalk entfernt lag.
Es war warm im Haus, in jedem Raum brannte Licht, und es roch nach getoastetem Brot. Musik schallte aus dem Badezimmer-Radio, und ich hörte das sprudelnde Geräusch des Wassers in der Dusche. Früher hatten Anna und ich diesen Moment der Intimität manchmal geteilt. Heute Abend fühlte ich mich bereits bei dem Gedanken daran unwohl, selbstwenn mein müder Junggesellenkörper tief im Inneren die Unschuld und Selbstverständlichkeit jener Zeit vermisste.
Anna fragte mich, wie mein Tag gewesen war, und ich antwortete, dass er mir lang erschienen war.
»Zu viel Arbeit?«
»Nein, die öffentlichen Verkehrsmittel.«
Sie hob den Kopf wie jemand, der Mitleid empfindet, und ich wusste, was sie dachte. Ich schloss die Duschkabine, die noch warm und von duftender Feuchtigkeit erfüllt war.
Irgendwann hatte es kommen müssen. Bei all den Geschichten, die ich seit Beginn des Jahres über Aufzüge las, musste ich eines Tages auf den Schlüssel stoßen, mir über gewisse Dinge klar werden, die man aufgrund der Gewohnheit und der Wiederholung am Ende nicht mehr sieht. Die Überwindung dieser geistigen Blockade verdanke ich wohl einem Artikel im New Yorker mit dem Titel »Up and Then Down«: »Aufzüge werden weit unterschätzt und unterbewertet. Sie sind für eine Stadt das, was Papier für das Lesen oder Kanonenpulver für den Krieg sind. Ohne Aufzüge gäbe es keine Vertikalität mehr, also auch keine Bevölkerungsdichte. Man müsste die Energie über immer weitere Strecken transportieren, und alle
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