Der Fall Sneijder
Nehmen Sie es mir nicht übel. Aber es ist mir lieber, ich weiß Bescheid. Das war mir schon immer lieber.«
»Und?«
»Nichts. Für mich ändert das nichts. Aber nun weiß ich Bescheid. Ich musste es Ihnen sagen.«
»Wer hat Ihnen davon erzählt?«
»Niemand. Aber gestern nach Ihrem Aufbruch habe ich nachgedacht. Ich konnte einfach nicht begreifen, wieso ein Mann wie Sie sich um eine Anstellung als Dog Walker bewirbt. Ganz ehrlich, ich fand das merkwürdig. Also habe ich Ihren Namen auf Google eingegeben. Und da habe ich Ihr Foto entdeckt und Ihre Geschichte in den Zeitungen nachgelesen. Es heißt, Sie seien wie durch ein Wunder gerettet worden. Sie hätten eine Chance auf eine Million gehabt, das zu überleben. Jedenfalls ist es furchtbar, was Ihnen widerfahren ist. Es hat mich wirklich erschüttert. Nun, auch deshalb musste ich es Ihnen sagen. Ihnen sagen, dass ich Bescheid weiß.«
»Und jetzt, da Sie es wissen, was ändert das?«
»Ganz ehrlich, ich begreife immer noch nicht, warum Sie diese Arbeit machen wollen. Aber wie dem auch sei, Sie können so lange bleiben, wie Sie wollen. Das ist kein Problem. Soll ich Ihnen einen Kaffee machen?«
Charisteas goss mir eine Tasse von dem fast durchsichtigenGetränk ein, das einen tintenartigen Nachgeschmack hatte. Er trank einen Schluck und streichelte sein Uhrarmband.
»Ich sehe Sie noch vor mir, wie Sie gestern Abend mit den Hunden und der Tüte in der Hand im Schneetreiben losgezogen sind. Also wirklich, ein Mann wie Sie, dem etwas Derartiges widerfahren ist und der einfach so, vom ersten Tag an, ohne Theater zu machen, dieses Zeug aufhebt, das ist schon was.«
»Ich denke, bei dem heutigen Wetter werden wir nicht viel Arbeit haben, oder?«
»Sie machen wohl Scherze. Selbst wenn es wie aus Eimern schüttet, bringen uns die Kunden ihre Hunde. Ich glaube, sie mögen sie, aber es ist ähnlich wie mit den Kindern, sie überlassen es gern anderen, sich um sie zu kümmern. Übrigens habe ich auf dem Dienstplan gesehen, dass heute Abend drei Hunde nach Hause gebracht werden müssen. Alle im gleichen Sektor. Wenn Sie wollen, können Sie sich darum kümmern. Dafür gibt es einen kleinen Bonus.«
»Steht Cudmore auf der Liste?«
»Ja, er steht immer darauf. Ich mag ihn. Er ist ein feiner Kerl. Sein Hund dagegen, keine Ahnung, wo er den her hat, aber das ist wirklich ein dämliches Vieh.«
Am Vormittag drehte ich zwei Runden, Einzelausführungen von je einer Dreiviertelstunde, mit Tieren, die wegen des Schnees richtig aufgekratzt waren und Spaß daran hatten, sich in der dicken Schneedecke zu suhlen. Diese morgendlichen Spaziergänge waren eine eher angenehme Übung mit äußerst beruhigender Wirkung. Sie führten durch eine stille makellose Welt. Die Flocken dämpften die Geräusche undhielten die Leute in ihren vier Wänden. Der Hund und ich waren allein. Mal gingen wir Seite an Seite, mal der Hund vorneweg und ich hinter ihm, um ihm alle Freiheit zu lassen, die die Leine ihm gewährte. Bei meiner Rückkehr forderte Charisteas mich auf, in seinem Büro Platz zu nehmen, und schaltete den Fernseher ein.
»Wir wollen uns einen Moment Zeit nehmen, um einen kurzen Film über die Arbeit des Handlers anzusehen. In einer Woche findet im Osten von Montreal ein Wettbewerb statt. Was Sie hier sehen, dürfte reichen, damit Sie Ihre erste Vorführung machen können.«
Der Dokumentarfilm zeigte unablässig alte, abgenutzte Videobilder, die mit einschläfernden Kommentaren und den ewig gleichen faden Ratschlägen gespickt waren: »… immer neben dem Tier herlaufen, in seinem Rhythmus, nicht vergessen, mit ihm ein Paar zu bilden … in den Hintergrund treten, sich niemals zwischen die Jury und das Tier stellen … bevor es in den Ring geht, ein letztes Mal das Haarkleid des Hundes pflegen, die losen Haare ausbürsten und darauf achten, dass die kleinen Makel seiner Physiognomie kaschiert werden … die Jury lässt sich genauso von der Schönheit des Tieres beeindrucken wie von Ihrer Haltung und Eleganz … das Gehen an der Leine und die Vorführung im Stand sind Schlüsselmomente des Wettbewerbs … die Merkmale des Hundes müssen den Standards seiner Rasse entsprechen … die Jury betrachtet den Hund aus allen Winkeln und tastet ihn an mehreren Stellen ab; während dieser Übung muss das Tier regungslos sitzen bleiben und die Berührung durch einen Unbekannten über sich ergehen lassen … nie vergessen, dass bei einem Wettbewerb zuerst die Männchen und dann die Weibchen
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