Der Fall Sneijder
glücklich wären, Ihre Hündin zu dem Wettbewerb zu begleiten. Sie ist ein sehr liebes Tier.«
»Ich möchte aber, dass Sie das machen. Ich spüre, dass Sie es sein müssen. Außerdem sind Sie so anders als diese kleinen Nichtsnutze, die sich nur um die Hunde kümmern, damit sie sich ein Cabrio leisten können.«
»Sie kennen mich doch gar nicht. Vielleicht will ich auch nur einen Cabrio.«
»Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, aber ich glaube, aus dem Alter sind Sie raus. Sie wissen, ich bin Psychologe, so leicht macht man mir nichts vor.«
Die schöne Freundin des Analytikers brachte mir ein Mineralwasser, setzte sich mir gegenüber und schlug ihre äußerst ansehnlichen Beine übereinander, während Charlie etwas prosaischer vor meinen Füßen die Pfoten verkreuzte und danach die Augen schloss, um den kleinen Sketch nicht mit ansehen zu müssen, der sich um sie herum abspielte und in deren Mittelpunkt sie – ganz ohne ihr Dazutun – stand.
»Hat Charisteas Ihnen erzählt, wie ich Analytiker geworden bin? Wenn Sie zwei Minuten Zeit haben, erzähle ich es Ihnen.«
»Aber gern.«
»Ich habe recht jung im Osten der Stadt als Autoverkäufer bei General Motors angefangen. Damals hatten wir noch eine tolle Auswahl: Buick, Pontiac, Cadillac, Oldsmobile und Chevrolet. Da gab es noch nicht so viele Japaner und Deutsche. Wir waren die Könige. Die Geschäfte liefen wie geschmiert. Sprosse für Sprosse bin ich die Karriereleiter hinaufgeklettert und Vertragshändler geworden. Und wenn die Leute kamen, um ein Auto zu kaufen, hatten sie es nicht so eilig wie heute, sondern verbrachten Zeit bei uns. Man kannte sich. Und da fing es an. Mir fiel auf, dass mir die meisten Kunden ab einem bestimmten Zeitpunkt ihre Geschichten anvertrauten, mir ihr Leben erzählten. Sie sagten, es tue ihnen gut zu erzählen, sie fassten Vertrauen zu mir. Am Ende kamen die Leute nur noch, um mich zu besuchen, manchmal mit der ganzen Familie, sie warfen kaum noch einen Blick auf die Autos. Da begriff ich, dass ich den falschen Beruf gewählt hatte. Dass ich dazu geboren war, den Leuten zuzuhören, und nicht, sie zu beschwatzen. Also verkaufte ich die Werkstatt, machte eine Ausbildung, und heute fahre ich selbst einen Lexus.«
»Eine erbauliche Geschichte.«
»Ich weiß nicht einmal mehr, warum ich Ihnen das erzählt habe.«
»Um mich zu überzeugen. Jedenfalls muss ich Ihnen eines sagen. Ich hatte vor einiger Zeit einen Unfall.«
»Ich bin im Bilde. Charisteas hat mir davon erzählt. Ihnen ist da eine schreckliche Sache zugestoßen.«
»Seitdem leide ich manchmal unter Angst- oder Panikattacken, wenn ich mich in einem geschlossenen Raum befinde und zu viele Leute um mich herum sind. Es ist äußerst unangenehm, sehr heftig. Und nun fürchte ich, dass mich bei diesem Wettbewerb, bei dem ziemlich viele Zuschauer anwesend sein werden, dieses Unwohlsein wieder befällt.«
»Wenn es nur das ist. Ich versichere Ihnen, dass Sie sich keine Sorgen zu machen brauchen. Ich kann Ihnen etwas zubereiten, eine Trinklösung, die Sie eine Stunde vor Beginn des Wettbewerbs einnehmen. Ich garantiere Ihnen, dass Sie anschließend genauso entspannt sein werden wie eine Olive in einem Glas Martini.«
Die schöne Freundin schlug die Beine andersherum übereinander und nahm einen Schluck von dem Scotch, den sie sich eingegossen hatte. All diese Geschichten von Wettbewerbshunden, Auto verkaufenden Analytikern und phobischen Anfängern schienen sie zu Tode zu langweilen. Ihr gesamter Körper drückte den Wunsch aus, woanders zu sein. Außerhalb dieses Hauses, das sich dem Kult der Hunderassen und der Verehrung der Hundestammbäume verschrieben hatte.
»Darf ich Sie fragen, was sich ein Psychoanalytiker von Hundewettbewerben verspricht?«
»Vermutlich dient es dem Narzissmus. Es verschafft mir etwas Gänsehaut. Sicherlich ist es vergleichbar mit dem, was eine Mutter verspürt, die ihre Tochter bei einem Schönheitswettbewerb anmeldet. Und wie ich zugeben muss, hat wohl auch die Lektüre von Joe Randolph Ackerley My Dog Tulip hineingespielt. Dieser Mann von Rang und Namen, Leiter einer ehrwürdigen und anspruchsvollen Kultursendung bei BBC, der seine große Zeit in den fünfziger Jahren hatte, frönte in seinem Leben zwei Leidenschaften. Den Horse Guards, wo er regelmäßig ein- und ausging – wie sein Vater im Übrigen, der sich lange Zeit in Gesellschaft derselben berittenen Wachen vergnügte –, und seinem Hund Tulip. Er hat dem Tier und der maßlosen
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