Der Fall Sneijder
hinterhergelaufen, als ich zu meinem Treffen mit Wagner-Leblond aufbrach,nur um mir das zu sagen. Um mir zu gestehen, dass das Kauderwelsch dieses Mannes, der in Beaumont-de-Lomagne geboren und in Castres gestorben war und sein Leben lang gegen Descartes und dessen Untersuchungen zur Optik Krieg geführt hatte, ihm gut getan hatte, ohne dass er mir erklären konnte, warum, genauso wie ihn seine mysteriöse Zahlenchirurgie beruhigte.
Ich kam mit leichter Verspätung in Wagner-Leblonds Büro an. Vor seinen Mitarbeitern begrüßte er mich wie einen normalen Kunden, voll professioneller und protokollarischer Aufmerksamkeit, aber ohne jene freundschaftliche Verschworenheit, die unsere bisherigen Treffen ausgezeichnet hatte. Doch kaum hatte sich die Tür seines Kabinetts hinter uns geschlossen, verwandelte er sich wieder in den Mann der Bäume und Gärten, in den unvorhersehbaren »alten Dealer«, der meiner Frau Angst einjagte.
»Wissen Sie, dass ich Woodcock und Libralift noch nichts von Ihrer Entscheidung gesagt habe. Die Gutachten sind mit so großer Verspätung bei uns eingetroffen, dass keine Eile bestand. Aber nun wurden die Fristen festgesetzt, und ich denke, dass ich innerhalb der nächsten vierzehn Tage mit meinen Kunden sprechen muss. Haben Sie Ihre Position überdacht, Ihre Meinung geändert?«
»Nein. Noch immer kein Prozess. Ich möchte eine Einigung.«
»Sie wissen, was ich von dieser Entscheidung halte.«
»Sie haben sich sehr klar ausgedrückt.«
»Dann werde ich das also weiterleiten. Zuvor muss ich Ihnen aber ein letztes Detail mitteilen, das nicht ganz unwesentlich ist: Bei dieser Art Prozedur ziehe ich mich aus demFall zurück, sobald der rein juristische Aspekt geregelt ist und sich die beiden Parteien offiziell darüber verständigt haben, dass sie beide eine Einigung wünschen. Von dem Moment an wird ein Verhandlungsführer der Gesellschaft Ihr Ansprechpartner, und wir werden keinerlei Kontakt mehr haben. Ich werde Ihnen weder helfen noch irgendeinen Ratschlag geben können. Der Vollständigkeit halber möchte ich auch hinzufügen, dass die Verhandlungsführer nicht alles wilde Tiere sind; Unmenschlichkeit ist jedoch eine der Eigenschaften, die bei der Einstellung dieser Leute ausschlaggebend ist.«
Wagner-Leblond blieb bis zum Schluss seiner Linie treu und verstieß ein letztes Mal gegen die eigenen und die Interessen seiner Kunden, indem er hartnäckig versuchte, einen Schwimmer aus dem Wasser zu ziehen, der nichts weiter wollte als ertrinken.
»Wie geht es dem Beni Shitan?«
»Er entwickelt sich prächtig. Ich habe ihn ans Fenster gestellt. Es scheint ihm dort zu gefallen.«
»Wussten Sie, dass die ersten Bonsais, die damals noch Penjings hießen, zwei Jahrhunderte vor unserer Ära aufgetaucht sind? Sie wurden in China während der Han-Dynastie gepflanzt. Erst acht Jahrhunderte später haben Mönche sie nach Japan importiert. Und seit etwa zehn Jahren bewundern wir Kanadier sie in den Wartezimmern unserer Rheumatologen. Horresco referens .«
»Das heißt?«
» Ich sag’s mit Schaudern . Vergil. Äneis.«
So war Wagner-Leblond. Leicht pedantisch und geistreich. Er konnte in nur wenigen Sätzen auf unmerkliche Weise vom gemeinen Geschäftsgebaren von Aufzugherstellern zu denalten Zeiten der Han und Tang überleiten, bevor er mit einem Zitat von Publius Vergilius Maro die Bühne verließ. Vermutlich war das keine große Sache, aber jemanden wie mich, dessen größter Erfolg darin bestanden hatte, eine Wartemusik für das pleite gegangene staatliche Unternehmen der Post und Telekommunikation zu komponieren, brachte dieses Horresco referens schon beim Hören zum Schaudern.
»Verbringen Sie Ihre Nächte immer noch mit Ihren Abhandlungen?«
»Noch immer.«
»Und?«
»Ich lerne dazu. Über Technik, Soziologie, Architektur, Psychologie.«
»Für jemand Neugieriges bietet die Lektüre über Aufzüge – und damit meine ich Untersuchungen über die Maschine und ihre Folgen – die Möglichkeit, ein Stück jenes unendlichen Fadens abzuspulen, der die Geschichte unseres kleinen Planeten erzählt. Genau das tun Sie im Moment. Es ist ein endloses Experiment, das Sie in die Lage versetzen wird, eines Tages die Gesetze der Wirtschaft zu begreifen, den Fortbestand der Privilegien und der sozialen Klassen zu entdecken sowie allerlei verblüffende wissenschaftliche und technische Erkenntnisse zu gewinnen, darunter, wie Sie bereits erwähnt haben, das Zusammenspiel von Soziologie, Psychologie und
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