Der Fall Sneijder
eine Explosion und das Geräusch von splitterndem Glas. Einer der fünfzehn Fahrgäste beteuerte, dass der Fahrstuhl sich für einen Moment im freien Fall befand, bevor die Notbremsen aktiviert wurden und die Kabine zum Halten kam. Die sechzig Fahrgäste, die in der 124. Etage stecken blieben, bekamen keine Erklärungen von den Sicherheitskräften, die während des Unfalls im Einsatz waren.«
Als ich auf meine Uhr sah, war es zwei Uhr morgens. Ich wusste nicht, wie lange ich vor dieser Meldung gesessen hatte. Sie berichtete von einem Unfall, der im Prinzip banal war, dessen Umstände mir aber in jeder Einzelheit den Moment ins Gedächtnis riefen, der mein Leben zerstört hatte. Die Explosion kurz vor dem Sturz ins Leere und der Zugriff der Bremsen, die in diesem Fall den Schock ausgehalten hatten.
In einem Chaos der Gefühle beschloss ich zum ersten Mal, nach Dubai zu fliegen und an die Spitze der Burj Khalifa zu fahren. Ich wäre unfähig gewesen, die Gründe dafür anzugeben, ich wusste nur, dass ich es tun musste. Ich klappte die Mappe zu und knickte die kleine gelbe Markierung um. Ich war müde und von einer dumpfen Traurigkeit erfüllt. Mir war, als würde mich mein ganzes Gewicht zu Boden ziehen. Als müsste ich alles von vorn beginnen.
In dieser Nacht blieb mir nur noch die Kraft für eine einzige Geste: die Urne mit den Überresten von Marie zu nehmen und sie fest an mich zu drücken.
Dubai lag am anderen Ende der Welt. Der Burj Khalifa war auf Sand gebaut. Ich versuchte, etwas Schlaf zu finden, indem ich diese offensichtlichen Dinge unendlich oft wiederholte.
Es war ein seltsamer Freitag bei DogDogWalk. Einer jener Tage, an denen man bereits morgens ahnt, ohne eigentlich zu wissen, warum, dass er anders sein wird als die anderen. Charisteas war mit dem Aufstellen der Dienstpläne und seinen Primzahlen beschäftigt, zwei Angestellte leerten ihre reiche Ernte aus, bevor sie ihre Ausführbögen ausfüllten, und die Hunde, die sich an ihr seltsames Leben gewöhnt hatten, warteten auf ihren Spaziergang, auf jene kleine Freiheitsparzelle, die man ihnen gewährte.
Das Wetter hatte sich radikal geändert, wir liefen in großen Schritten auf den Frühling zu. Der Schnee war geschmolzen und hatte platt gedrückte, verdorrte Grashalme zurückgelassen, die von den ersten starken Regenfällen noch nicht wieder zum Leben erweckt worden waren. Mir standen zwei Einzelausführungen bevor, in Begleitung von zarten und zerbrechlichen Schoßhündchen, die für Teesalons geschaffen waren und auf die unbescheidenen Namen Venezia und Pompadour hörten, sowie eine Gruppenausführung mit drei kräftigen Tieren, die gern trödelten und die man unablässig vorwärts zerren musste, um sie von ihrem geschäftigen Schnüffeln loszureißen. Mit der Schnauze am Boden suchten sie den Asphalt nach den winzigsten Gerüchen ab, und natürlich gab es nichts Faszinierenderes als eine alte Urinpfütze, die ein Artgenosse auf dem Weg hinterlassen hatte. Welche Informationen zogen sie aus diesen Duftmolekülen? Der Konzentration der Hunde nach zu urteilen mussten die Gerüche ebenso reichhaltig wie vielseitig sein und voll wertvoller Informationen stecken.
»Bréguet hat wieder angerufen. Er fragt, warum ihm neuerdings jemand anders Charlie nach Hause bringt. Er meinte, er habe den Eindruck, Sie würden ihn meiden.«
»Dann ist sein Eindruck richtig.«
»Das Beste wäre, Sie würden ihm ganz offen sagen, dass Sie nicht nach Toronto gehen und auch keine Wettbewerbe mehr machen.«
»Aber das habe ich Ihnen bereits gesagt.«
»Ja, ich weiß, aber nun müssen Sie es auch ihm sagen. Und zwar persönlich. Was haben Sie als Nächstes zu tun? Könnten Sie eine einstündige Gruppenausführung übernehmen, die nicht geplant war? Bei dem Wetter sind die Hunde unruhig. Würde es Ihnen was ausmachen?«
»Welche Hunde soll ich mitnehmen?«
»Charlie, Ihren Freund Julius – de Lappe wird sich freuen –, und den kleinen Watson, der nicht allzu lästig sein dürfte.«
In meinem tiefsten Innern mochte ich die Insel und diese Stadt. Sie waren geschichtslos, hier ließ es sich gut leben. Meine neue Sicht der Dinge hing gewiss damit zusammen, dass die Kälte endlich vorüber war. Die Sonne schien, der Nordhimmel hatte sich blau gefärbt, und von der Erde erhob sich ein Geruch, der keinen Zweifel zuließ. Die Hunde waren ganz offensichtlich froh, zusammen und am Leben zu sein.
Zu viert liefen wir am Fluss entlang. Charlie vorneweg, gefolgt von Julius,
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