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Der Fall Sneijder

Der Fall Sneijder

Titel: Der Fall Sneijder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Paul Dubois
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tiefer und etwas schlapp. So als würde man ein Tonband zu langsam abspulen. Ich erkannte Bréguet wieder, hatte jedoch keinen blassen Schimmer, was dieser Mann von mir wollte, noch warum er mich am Arm rüttelte. Erst allmählich sortierten sich meine Gedanken, wie wirbelnder Schnee, der in einer Glaskugel allmählich zu Boden sinkt. Nicht unbedingt in chronologischer Reihenfolge, aber ich erinnerte mich wieder an den Ort, an dem wir uns befanden, wenn ich auch nicht wusste, was wir hier taten.
    »Verflucht, wachen Sie auf! Monsieur Sneijder, wir sind gleich dran! Monsieur Sneijder!«
    Es gab keinen Zweifel, dass mit Sneijder ich gemeint war. Paul Sneijder. Unklar blieb hingegen, warum Bréguet so an mir herumzerrte.
    »Monsieur Sneijder, ich flehe Sie an, wachen Sie auf, wir werden in fünf Minuten aufgerufen.«
    Noch immer mit demselben unschuldigen Lächeln auf den Lippen bemühte ich mich unter unsagbaren Anstrengungen, den Kopf zu heben, die Brust herauszustrecken und meinem Gesprächspartner eine etwas straffere Haltung zu präsentieren.
    »Geht es Ihnen besser? Fühlen Sie sich wohl?«
    Neben mir hatte ein weißer Hund seine Schnauze auf meinen Oberschenkel gelegt. Ich betrachtete ihn als neuen Freund. Sein schwarzer Blick rief mir vage etwas ins Gedächtnis. Ich sah mich im Schnee knien, das Tier an meiner Seite. Indem Moment rückte sich die Welt langsam wieder zurecht, und das Tuch meiner Lethargie wurde sanft emporgehoben. Durch die Nebelschwaden des Beruhigungsmittels schimmerte das friedliche Bild von Charlie.
    »Trinken Sie einen Schluck Wasser und stehen Sie dann auf. Bitte, haben Sie Erbarmen, reißen Sie sich zusammen.«
    Ich gehorchte Bréguet. Schwerfällig stand ich auf und hob die Mineralwasserflasche, die er mir reichte, an den Mund. Doch schätzte ich den Abstand zwischen dem Flaschenhals und meinen Lippen falsch ein, sodass die Flüssigkeit sich langsam über meine Hose und meine Schuhe ergoss.
    »Passen Sie doch auf! Sehen Sie nur, was Sie angerichtet haben!«
    Die Hündin leckte die kleine Wasserlache auf, und ihr verzweifeltes Herrchen tupfte ihr eilig die Lefzen trocken.
    Schon seit einer Ewigkeit hatte ich mich nicht so wohl, so entspannt, so frei von allen Sorgen gefühlt, völlig präsent, auch wenn ich die Oberfläche der Welt nur mit den Zehenspitzen berührte. Permanent lächelte ich, weil mir dies nur natürlich und angemessen erschien. Ich empfand nichts Besonderes. Alles war gleichwertig und wertlos zugleich. Mein Gedächtnis hatte sich in ein altmodisches Accessoire verwandelt, dessen Daseinsgrund mir verborgen blieb.
    Bréguet half mir, die Sitzreihen hinunterzusteigen, und geleitete mich zu dem Wandelgang. Dann bürstete er ein letztes Mal das Fell der Hündin, legte mir die Leine in die Hand und sagte:
    »Sobald Sie hören, dass Charlie aufgerufen wird, steigen Sie in den Ring und geben Ihr Bestes. Ich flehe Sie an, reißen Sie sich zusammen!«
    Ich lächelte Charlie zu und war davon überzeugt, dass sie zurücklächelte. Ich weiß nicht, warum, aber in diesem Augenblick empfand ich trotz aller Beruhigungsmittel eine gewisse Zärtlichkeit für diese Hündin. Ich teilte viele Dinge mit ihr, Dinge, die sich nicht leicht in Worte fassen ließen. Jetzt, da wir im Begriff waren, uns beide in ein Unterfangen zu stürzen, das uns im höchsten Maße gleichgültig ließ, richteten wir denselben eindringlichen Blick auf die Leute rings um uns her. Während wir versuchten herauszufinden, was sich in den anderen Köpfen abspielte, stellten wir uns die einzig sinnvolle Frage: »Wie funktioniert das?«
    »Sie sind dran, los!«
    Charlie machte den ersten Schritt und ich folgte ihr. Um uns herum lärmte die Welt, und ganz am Ende des schier endlosen Holzstegs konnte ich die winzigen Umrisse der allmächtigen Jury erkennen. Nach wenigen Metern hob Charlie den Kopf zu mir, wie ein flanierender Hund. Wir bildeten ein vollkommen eingeschworenes Paar. Mir war, als ginge ich, eine Hand lässig in die Tasche gesteckt, gemütlich mit meiner Hündin am Canal du Midi spazieren, während die Sonne durch die Platanen blitzte. Wir liefen die Uferböschung entlang und sogen den kräftigen Geruch des Grases ein. Wir waren im Süden, allein auf der Welt.
    Müssen sich Handler Dopingkontrollen unterziehen? Ich stellte mir die Frage nicht. Durch mein Blut floss der Honig der Opiate, ich hatte keine Angst mehr, die anderen waren einfach verschwunden. Als wir am Ende des Rings ankamen, stand ein Jurymitglied

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