Der Fall
Besuch persönlich bei ihrer Tante ab. Nachdem sie ein paar Worte mit ihr gewechselt hatte, verließ Sara das Gebäude und hielt nach ihrem Taxi Ausschau. Es war weg. Das einzige Auto weit und breit war die dunkelblaue Limousine. Der Fahrer der Limousine, ein blasser Mann mit einem blonden Schnurrbart, stand gegen die Motorhaube gelehnt.
Sara zog ihre Dienstmarke aus der Tasche und rief: »Staatsanwaltschaft! Wer sind Sie?«
Unbeeindruckt blickte der Fahrer der Limousine auf und reichte Sara ein zusammengefaltetes Blatt Papier.
»Was ist das?«, fragte Sara argwöhnisch.
»Eine neue Erfindung. Wir nennen es Papier.«
»Sehr witzig.« Sara riss ihm das Blatt aus den Händen. Als sie es auseinander faltete, las sie die Wörter STEIG IN DAS AUTO, POOH. Sara sah den Fahrer an. »Wer hat das geschrieben?«
»Keine Ahnung. Ich weiß nur, wohin ich Sie bringen soll. Solange ich im Voraus bezahlt werde, interessiert mich alles Weitere nicht.«
Sie machte einen Schritt von dem Wagen fort.
»Haben Sie keine Angst«, sagte der Fahrer. »Es passiert Ihnen nichts.«
Davon war Sara noch keineswegs überzeugt.
»Nichts für ungut, aber wenn ich Ihnen was antun wollte, hätte ich das schon längst tun können. Besonders in dieser Gegend – kein Mensch würde sich darum kümmern. Also steigen Sie schon ein.«
Während sie das Argument des Mannes überdachte, stellte Sara fest, dass Tiffany das Geschehen von ihrem Fenster beobachtete.
»Wenn etwas passiert«, fügte der Fahrer hinzu, »haben Sie sogar einen Zeugen.«
Damit sich Tiffany keine Sorgen machte, sah Sara mit einem gezwungenen Lächeln zu ihr hoch, als sie auf die Limousine zuging. »Wohin fahren wir?«, fragte sie den Fahrer.
»Das darf ich nicht sagen«, erwiderte der Fahrer mit einem Blick über seine Schulter. »Aber Sie werden es nicht bereuen.«
Sara beschloss, die Botschaft glaubwürdig zu finden, und stieg mit einem letzten Blick auf Tiffany zögernd ein. Eine halbe Stunde lang fuhr die Limousine in die Innenstadt zurück. Der Fahrer behielt die ganze Zeit den Rückspiegel im Auge. Auf der Fahrt durch die Upper West Side dachte Sara, sie führen zum Times Square. Als sie über den Times Square fuhren, dachte sie, sie führen ins Village. Als sie durchs Village fuhren, dachte sie, sie führen zu ihrem Büro in der Centre Street. Und als sie an ihrem Büro vorbeifuhren, fragte sie: »Wo bringen Sie mich nun eigentlich hin?«
»Noch zehn Minuten«, vertröstete sie der Fahrer.
Die Limousine steuerte auf die Zufahrt zur Brooklyn Bridge zu.
»Fahren wir nach Brooklyn?«, fragte Sara nervös.
»Das werden Sie gleich sehen«, sagte der Fahrer lächelnd.
Nachdem er bei der ersten Abfahrt von der Brücke scharf nach rechts gebogen war, fuhr er durch das idyllische alte Viertel Brooklyn Heights. Sie kamen an klassischen Stadthäusern und traditionellen Holzbauten sowie an einem von George Washingtons Häusern vorbei und erreichten schließlich die Uferpromenade, die bekannt war für den atemberaubenden Blick, den man von dort über den Fluss auf die Südspitze Manhattans hatte. Normalerweise wimmelte es auf der gepflasterten Promenade von Touristen und Einheimischen, aber die kalte Witterung hatte die Straßen leer gefegt. »Endstation«, sagte der Fahrer.
Sara, die sich nervös umblickte, sah niemanden.
»Steigen Sie aus«, forderte der Fahrer sie auf.
»Hier? Sie erwarten von mir, dass ich hier aussteige? Sind Sie von allen guten Geistern verlassen?«
»Steigen Sie aus. Sie werden es nicht bereuen.«
Daraufhin stieg Sara aus und beugte sich zum Fahrerfenster hinab. »Und was nun?«
»Warten Sie hier.« Der Fahrer ließ das Fenster hoch und fuhr los.
»Halt! Wo fahren Sie hin?«, schrie Sara und hieb gegen das Fenster der wegfahrenden Limousine. Plötzlich stand Sara mutterseelenallein auf dem betonierten Gehweg, umgeben nur von vereinzelten Bänken, und spürte, wie ihr der kalte Wind vom East River um die Ohren pfiff. Auch als sie sich noch einmal nach allen Seiten umblickte, entdeckte sie niemanden. Sie ging zum Wasser hinunter. »Ist hier jemand? Hallo?«
»Sara«, ertönte plötzlich hinter ihr eine Stimme.
»Wer –« Erschrocken fuhr Sara herum. Es war Jared. »Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht«, stieß sie spontan hervor und umarmte ihren Mann. »Wo hast du gesteckt?«
»Entschuldige bitte«, sagte Jared und löste sich aus ihrer Umarmung. »Ich wollte nur sichergehen, dass du allein bist.«
»Ich bin allein. Schon seit
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