Der falsche Apostel
Krieger sein und fortan nur noch seine Felder
bestellen. Aber irgendetwas beschäftigte ihn, er wirkte geradezu niedergeschlagen. Und mitten in einer Unterhaltung sagte
er plötzlich: ›Ich will Landmann werden, es sei denn, die Jüdin will uns unseren Frieden nehmen.‹«
Fidelma stutzte. »Die
Jüdin
? Wen meinte er damit?«
Liadin zuckte die Achseln. »Ich habe keine Ahnung. Soviel ich weiß, gibt es im ganzen Königreich keine Jüdin.«
»Du hast ihn bestimmt gebeten, dir zu erklären, was er damit meinte.«
»Er hat das mit einem Lachen abgetan, es wäre nur ein dummer Scherz gewesen.«
»Kannst du wiederholen, was genau und wie er es gesagt hat?«
Das tat Liadin, doch davon wurde Fidelma nicht klüger. Grübelnd stand sie auf, lächelte aber ihre mutlose Freundin zuversichtlich
an und sagte: »Irgendetwas an der ganzen Geschichte erscheint mir rätselhaft, Liadin. Es ist wie ein Wanzenstich, ich weiß
nur noch nicht, wo ich kratzen soll. Macht nichts, ich werde weitere Nachforschungen anstellen. Sorg dich nicht. Alles wird
gut.«
Leicht befangen stand Conn, der
tánaiste
der Uí Dróna, vor Schwester Fidelma. Der blonde und gutaussehende Mann verlagerte hin und wieder sein Gewicht von einem Fuß
auf den anderen und versuchte möglichst gleichgültig dreinzuschauen.
An einem Nebentisch saß Brehon Rathend, der, wie das Gesetz es vorschrieb, bei der Befragung von Zeugen zugegen sein musste.
Für die Unterredung des Anwalts mit dem Angeklagten galt das nicht. Er war lediglich Beobachter, durfte keine Fragen stellen
oder sonstwie eingreifen, es sei denn, die
dálaigh
|382| hielt sich nicht an die Regeln, die für Vernehmungen vor dem eigentlichen Gerichtstag festgelegt waren.
»Schildere mir die Ereignisse, die dazu führten, dass du Liadin verhaftet hast.«
Der junge Krieger räusperte sich und sprach tonlos, als sagte er etwas auswendig Gelerntes her: »Ich fand die Waffe, mit der
Scoriath getötet wurde, in der Schlafkammer von …«
»Lass nicht den Anfang aus«, unterbrach ihn Fidelma unwirsch. »Wann hast du Scoriath zum letzten Mal gesehen? Lebendig gesehen,
meine ich.«
Conn dachte einen Augenblick nach. »Am Abend des Tages, an dem er umkam. Anlässlich des Festes des heiligen Mochta, der ein
Jünger Patricks war, hatten wir nachmittags eine Clan-Versammlung. Scoriath, ich und einige andere Krieger gehörten zum Gefolge
unserer Stammesfürstin Irnan in der Beratungshalle. Eine Stunde vor Sonnenuntergang gingen alle Mitglieder des Rats auseinander,
sodass jeder noch sein Heim erreichen konnte, ehe es dunkel wurde.«
»Und das war das letzte Mal, dass du Scoriath lebend gesehen hast?«
»Ja, Schwester. Ein jeder begab sich nach Hause. Später kam ein Bote von Irnan zu mir und sagte, er sei auf der Suche nach
Scoriath. Die Stammesfürstin wollte ihn sprechen. Der Bote berichtete weiterhin, beim Hauptmann hätte niemand geöffnet.« Conn
machte eine Pause, zog die Brauen zusammen und rieb sich die Stirn, als würde das seinem Gedächtnis nachhelfen. »Das kam mir
merkwürdig vor, ich wusste ja, dass Scoriath ein Kind hatte, und wenn er nicht zu Hause war, so hätten doch seine Frau und
sein Kind oder die Magd da sein müssen.«
Wieder schwieg er und schien von Fidelma eine Bestätigung seiner Überlegung zu erwarten. Doch die bedeutete ihm nur, weiterzureden.
|383| »Ich bin also mit dem Boten zum Haus gegangen. Auf unser Klopfen hat niemand geantwortet, da habe ich aufgemacht und bin hineingegangen.
Ich weiß nicht, was das war, irgendwie kam es mir unheimlich vor. In der Schlafkammer brannte eine kleine Öllampe; durch einen
Spalt in der Tür konnte ich das Licht sehen. Ich ging hin und stieß die Tür auf.« Er beugte flüchtig das Knie. »Da sah ich
Scoriath auf dem Boden liegen, mit dem Gesicht nach unten. Aus einer schrecklichen Wunde an seinem Hals floss Blut.«
»Floss Blut?«, unterbrach ihn Fidelma.
Conn nickte. »Offenbar war er noch nicht lange tot. Ich habe ihn leicht zur Seite gedreht, und da sah ich, dass man ihm die
Kehle durchgeschnitten hatte. An der Tür zur kleinen Nebenkammer lag der Leichnam von Scoriaths Jungen, Cunobel. Auch er war
tot, hatte mehrere Stichwunden in der Brust. Blutspritzer waren überall.«
Der
tánaiste
schluckte erregt, ehe er fortfuhr: »Die Tür zur Nebenkammer, in der sonst der Knabe schlief, war angelehnt. Scoriaths Frau
nutzte den Raum auch als ihr Ankleidezimmer. Eine Blutspur führte dorthin.
Weitere Kostenlose Bücher