Der falsche Apostel
und bleiche Haut. Ihre dunkelbraunen Augen wirkten von weitem fast schwarz. Sie sah angestrengt
aus und hatte Ringe unter den Augen; ihr Gesicht war fast blutleer und von scharfen Falten gezeichnet.
»Fidelma! Gelobt seien alle Heiligen, dass du endlich gekommen bist. Ich hatte schon jede Hoffnung aufgegeben. Glaub mir,
ich habe weder Scoriath noch meinen Sohn Cunobel umgebracht.«
|376| »Das brauchst du mir nicht zu versichern«, erwiderte Fidelma rasch. »Ich habe erreicht, dass dein Prozess um vierundzwanzig
Stunden vertagt wird. Erzähl mir alles, was du weißt, damit ich mir zurechtlegen kann, wie ich dich am besten verteidige.«
Liadin schluchzte still vor sich hin. »Seit ich die schreckliche Kunde von Scoriaths Tod erhalten habe, kann ich überhaupt
nicht mehr klar denken. Wie betäubt bin ich von dem Schock und kann es nicht fassen, dass man mich jetzt anklagt. Ich habe
geglaubt, ich würde aufwachen und von all dem … von …« Ihre Stimme versagte, und Fidelma drückte ihrer Freundin mitfühlend
die Hand.
»Ich will es übernehmen, für dich zu denken. Erzähl mir einfach, was sich ereignet hat.«
Liadin wischte sich die Tränen ab und zwang sich zu einem Lächeln. »Ich schöpfe wieder Hoffnung. Doch viel kann ich dir nicht
berichten.«
»Bei unserem letzten Beisammensein hattest du mir vorgeschwärmt, wie glücklich du mit Scoriath warst. Hatte sich seither etwas
verändert?«
Liadin schüttelte energisch den Kopf. »Wir lebten glücklich und zufrieden und hatten ein prächtiges Kind.«
»War Scoriath bis zuletzt Hauptmann der Leibwache der Stammesfürstin?«
»Ja. Auch als Irnan vor einem Monat ihrem Vater Drón als Anführer des Clans folgte, blieb Scoriath ihr Hauptmann. Doch er
trug sich mit dem Gedanken, das Kriegshandwerk ganz und gar aufzugeben und sich nur noch der Bewirtschaftung seines Grund
und Bodens zu widmen.«
Fidelma schürzte die Lippen. Sie musste daran denken, wie gehässig sich Irnan über Liadin geäußert hatte.
»Hat er sich mit jemand in einflussreicher Stellung nicht vertragen? |377| Wie stand er sich mit dem
tánaiste
? Gab es Spannungen zwischen ihm und dem gewählten Thronfolger?«
»Conn? Nein, da war keinerlei Zwietracht zwischen den beiden.«
»Kommen wir auf den Tod von Scoriath und deinem Sohn zu sprechen.« Trösten würde sie ihre Freundin später können.
»Es geschah vor einer Woche. Ich war gerade nicht hier.«
»Das musst du mir erklären. Wenn du nicht hier warst, wie kann man dich beschuldigen, die Morde begangen zu haben? Fang bitte
ganz vorn an.«
Liadin hob hilflos die Arme. »Am Tag, als das passierte, hatte ich Scoriath und unser Kind allein gelassen und war zu einer
erkrankten Verwandten, meiner Tante Flidais, geritten. Doch so schlimm, wie erwartet, stand es mit ihr nicht. Ich traf sie
schon fast genesen an, es war nur eine Erkältung gewesen. So konnte ich bald wieder zurückreiten und erreichte die Festung
etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang. In dem Moment, da ich unsere Wohnstatt betreten wollte, kam Conn herausgestürzt und
packte mich derb an.«
»Er packte dich derb an? Warum?«
»Ich habe nur noch eine verschwommene Vorstellung von allem. Er brüllte los, Scoriath und mein Sohn seien erschlagen. Ich
war fassungslos. Er muss mich auch sofort beschuldigt haben.«
»Ohne jeden Grund?«
»Er hatte ein blutiges Messer und blutbefleckte Kleidungsstücke von mir gefunden, angeblich in meiner Ankleidekammer verborgen.
Scoriath und mein Sohn hätten in unseren Räumen gelegen – beide erstochen.«
»Du hast natürlich sofort seine Anschuldigung zurückgewiesen?«
Liadin nickte heftig. »Der Gedanke, eine Mutter würde ihr eigenes Kind abschlachten, ist doch völlig abwegig!«
|378| »Dergleichen ist leider schon vorgekommen, Liadin. Wir müssen die Dinge so sachlich wie möglich betrachten. Haben sie noch
andere Beweise gegen dich vorgebracht?«
Liadin überlegte einen Moment. »Eine Bedienstete hat gegen mich ausgesagt. Die Magd Branar behauptet, sie sei Zeugin gewesen,
wie Scoriath und ich uns an dem Tag heftig gestritten hätten.«
»Zeugin sei sie gewesen? Wäre das vorstellbar?«
»Natürlich nicht. Ich hatte Branar den ganzen Vormittag über nicht gesehen.«
»Dann lügt sie also? Wie kann sie aber behaupten, sie hätte euren Streit miterlebt?«
»Sie sagt, sie hätte so etwas
gehört
«, berichtigte sich Liadin sofort. »Sie wäre an unserer Schlafkammer vorbeigekommen und hätte
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