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Der falsche Apostel

Der falsche Apostel

Titel: Der falsche Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Tremayne
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sandte. Das Heer stand unter dem Oberbefehl des unbesiegbaren Feldherrn Holofernes. Als
     die Assyrer die israelische Stadt Bethulia belagerten, ging eine jüdische Frau namens Judith ins Lager der Assyrer und wurde
     vor Holofernes gebracht. Sie verführte ihn, und als er später, sinnlos betrunken, schlief, hieb sie ihm den Kopf ab und kehrte
     damit zurück zu ihrem Volk. Die Belagerten nahmen das als ein Zeichen ihres Gottes, schöpften neuen Mut, stürzten sich auf
     die Feinde und schlugen sie in die Flucht.
    Fidelma konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. Diese |392| Geschichte hätten auch die alten irischen Barden erzählen können. Damals glaubte man, die Seele wohnt im Kopf des Menschen,
     und daher war es ein besonderes Zeichen der Hochachtung, dem besiegten Feind den Kopf abzuschlagen. Während sie den hebräischen
     Text mit der Fassung in Griechisch und Latein verglich, verschlug es ihr fast den Atem, denn ihr ging auf, dass der Name Judith
     ja nichts anderes als »Jüdin« bedeutete.
    Warum war gerade diese Stelle angestrichen worden? Was hatte Scoriath damit gemeint, als er Liadin gestand, er möchte das
     Kriegshandwerk aufgeben und Landmann werden, falls ihm die »Jüdin« das nicht verwehrte? Scoriath war ein Fremdländischer und
     zudem gewissermaßen der Feldhauptmann seiner Krieger wie Holofernes. Auch war sein Kopf fast abgetrennt worden. Hatte das
     etwas zu bedeuten, absonderlich, wie es war?
    Nachdenklich schob sie die Handschrift in die Schutztasche zurück. Der Richter, der ihr zugeschaut hatte, konnte sich keinen
     Reim darauf machen. »Hast du nun alles gesehen, was du sehen wolltest?«
    Fidelma blickte auf und verkündete: »Ich wünsche den Sippenkundigen der Uí Dróna zu sprechen.«
     
    »Jetzt auch noch die Stammesfürstin! Willst du sie allen Ernstes befragen? Was hat sie mit der ganzen Sache zu tun?«
    Erst eine Stunde war vergangen, und Rathend und Fidelma saßen in der großen Halle der Festung.
    »Das herauszufinden ist nun einmal meine Sache«, erwiderte Fidelma. »Ich bin befugt, Irnan zur Vernehmung vorzuladen. Oder
     streitest du das ab?«
    »Es steht dir frei, ja.« Nur zögerlich räumte Rathend es ein. »Ich kann nur hoffen, du weißt, worauf du dich da einlässt,
     Fidelma von Kildare.«
    |393| Irnan erschien, nachdem die beiden sie eine Weile, unbehaglich schweigend, erwartet hatten. Kaum stand die Stammesfürstin
     in der Tür, da sprang Richter Rathend schon auf.
    »Warum lädt man mich vor, Rathend?«, fragte Irnan gereizt und überging Fidelma absichtlich. Doch es war die Anwältin, die
     ihr antwortete.
    »Seit wann war Scoriath dein Liebhaber, Irnan?«
    Selbst wenn nur eine Nadel zu Boden gefallen wäre, man hätte es gehört. Die Frau mit dem dunklen Teint wurde bleich und presste
     die Lippen zusammen. Der Schreck saß tief.
    Fassungslos starrte Rathend Fidelma an und traute seinen Ohren nicht.
    Einen Augenblick später schien Irnan alle Kraft zu verlassen. Sie sank auf einen Sessel. In ihren Blicken, die sich unverwandt
     auf Fidelma richteten, mischten sich Verwirrung und Furcht. Da sie schwieg, redete Fidelma weiter.
    »Vor deiner Geburt hat sich dein Vater Drón, wie ich erfahren habe, im Hafen von Síl Maíluidir aufgehalten. Er wollte einige
     Kaufleute des Clans ermutigen, dort Handel zu treiben. Auch mit einem Kaufherrn aus Phönizien, der eine schöne Tochter hatte,
     wurde er handelseinig. Drón heiratete sie, und sie hatten ein Kind. Das warst du. Deine Mutter hieß Judith – die Jüdin. Sie
     ist nur wenige Monate nach deiner Geburt gestorben. Nach ihrem Tod nahm dich dein Vater hierher mit, und hier bist du aufgewachsen.«
    »Daraus mache ich kein Geheimnis«, erwiderte Irnan bissig. »Gewiss hat dir Moluan, der Genealoge, davon erzählt.«
    »Wann hat Scoriath dir gestanden, dass er dich nicht mehr liebt, dir seinen Befehlsstab zurückgeben und als einfacher Landmann
     leben will?«
    Sie hatte sich bereits wieder in der Hand und lachte kurz auf. »Du weißt längst nicht alles, du kluge
dálaigh
beim hohen Gericht. |394| Scoriath hat mich immer geliebt und hat mir das noch an dem Tag versichert, als seine Frau ihn aus Eifersucht ermordete.«
    Dass Irnan sich so unverblümt äußerte, überraschte Fidelma.
    »Scoriath hat mich geliebt, aber er war ein Ehrenmann«, sagte Irnan schneidend. »Er wollte Liadin nicht verletzen und schon
     gar nicht seinen kleinen Sohn, deshalb wollte er sich von seiner Frau nicht scheiden lassen. Er wollte sich

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