Der falsche Apostel
Amtsträger des päpstlichen Haushalts empfangen zu werden. Um sich die Zeit zu vertreiben,
besuchte sie wie Tausende anderer Pilger, die in die Stadt strömten, die antiken Monumente und Grabmäler.
Von der
xenodochia
, in der sie untergebracht war, der kleinen Herberge für fremdländische Pilger neben der Kapelle der heiligen Praxedis, lief
sie jeden Morgen hügelabwärts zum Lateran-Palast, um zu erfahren, ob man sie heute empfangen würde. Die Tage gingen dahin,
ohne dass ihr eine Nachricht zukam, und langsam wurde sie ungehalten. Doch sie fasste sich in Geduld, denn es wimmelte von
Menschen aus den verschiedensten Ländern, von manchen hatte sie nicht einmal gewusst, dass es sie gab. Sie alle drängten zum
Palast und ersuchten um Audienz. So verließ sie Tag um Tag leicht enttäuscht den päpstlichen Hof und machte sich auf, eine
weitere Sehenswürdigkeit zu erkunden.
An diesem Morgen hatte sie sich vorgenommen, die kleine, dem heiligen Hippolytus gewidmete
ecclesia
aufzusuchen, die nur ein paar Schritte von ihrer Herberge entfernt war. Sie tat es, weil sich dort das Grabmal des Hippolytus
befand. Ihr Mentor, Abt Laisran von Durrow, bewunderte die Schriften dieses frühen Kirchenvaters, und sie selbst hatte sich
durch den Text seiner
Philosophoumena
quälen müssen, um mit Laisran über die darin enthaltene Widerlegung der gnostischen Lehren zur Gotteserkenntnis zu debattieren.
Sie wusste, dass Laisran es ihr hoch anrechnen würde, wenn sie ihm berichten konnte, am Grabmal des Hippolytus gestanden zu
haben.
Während Fidelma sich hinten in der winzigen Kirche, die nicht mehr als zwei oder drei Dutzend Gläubige fasste, einen Platz
suchte, wurde eine Messe gefeiert. Es waren nur sechs bis sieben Leute anwesend, die mit gesenktem Kopf dastanden und dem
Priester lauschten, der die altehrwürdigen Worte psalmodierte.
|256| Angelegentlich betrachtete sie die Kirchgänger. Die Baudenkmale, die Geräusche, die Menschen Roms – alles war ihr neu und
nahm ihre Aufmerksamkeit gefangen. Ein junges Mädchen in der kleinen Schar der Betenden fiel ihr zuerst auf. Sie konnte nur
ihr Profil sehen, soweit eine Haube das zuließ, die züchtig ihr wohlgeformtes Haupt verhüllte. Es war ein zartes, fein modelliertes,
anziehendes Antlitz, das Fidelma in seiner scheuen Schönheit gefiel. Neben ihr stand ein junger Mann im Habit eines Mönchs.
Auch auf sein Gesicht hatte sie keinen freien Blick, gewann aber den Eindruck, dass er gutaussehend war und irgendwie eine
Ähnlichkeit mit den Zügen des Mädchens aufwies. Des weiteren war da ein schlanker, wettergebräunter junger Bursche. In seiner
seemännischen Ausstaffierung erinnerte sie ihn an die Seeleute in Gallien. Sehr glücklich war er nicht, wie seine finstere
Miene verriet. Hinter den dreien stand ein untersetzter Herr, angetan in den reichen Gewändern eines höheren Geistlichen.
Fidelma waren genügend Äbte und Bischöfe begegnet, so dass sie ihm durchaus einen solchen Rang zubilligte. In einer anderen
Ecke stand ein beleibter, dunkelhäutiger Andächtiger. Er wirkte erregt, war gut gekleidet und vermutlich ein wohlhabender
Kaufherr. Hinten im Kirchenschiff bemerkte sie das letzte Mitglied dieser Gläubigenschar, einen jungen Mann im Dienstkleid
der
custodes
von Rom, der Hüter von Gesetz und Ordnung. Er war dunkelhaarig und recht hübsch, hatte aber etwas Hochmütiges an sich, das
zu seinem militärischen Beruf passte.
Vorne schwang der Diakon eine kleine Glocke, und der zelebrierende Priester hob den Kelch mit dem Wein. »Dies ist der Kelch
meines Blutes!«, intonierte er und wandte sich dem Diakon zu, der die Silberschale mit der geweihten Hostie hochhielt.
Die kleine Gemeinde begab sich zum Altar und stellte sich vor dem Priester auf. Als erster erhielt der hübsche junge Mönch |257| die Hostie, legte sie sich in den Mund, verneigte sich vor dem Priester, der den Kelch in Händen hielt, und empfing dann den
Wein. Er ging beiseite, und seine junge Begleiterin trat vor, um das Sakrament zu empfangen.
Noch hatte sich der Mönch nicht ganz der Gemeinde zugewandt, da veränderten sich seine Züge, er begann zu husten und zu würgen,
der Mund stand ihm offen, die Zunge hing heraus. Mit einer Hand fuhr er sich an die Kehle, das schmerzverzerrte, gerötete
Gesicht lief blau an. Die Augen waren aufgerissen und starrten ins Leere. Laute kamen aus seiner Kehle, die Fidelma an das
Quieken eines Schweins erinnerten, das
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