Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)
verschwunden.
Kwin starrte mit offenem Mund. Prak wirkte ebenfalls verwirrt. Pail Milaz hatte sich einfach aufgelöst, als er durch das Tor geschritten war.
„Das ist das Talikon“, sagte Rendon in der Hoffnung, damit irgend etwas zu erklären, aber Kwin schüttelte nur den Kopf. Schnell versuchte er, dieses Bild zu vertreiben, und so fragte er alle Anwesenden: „Woher kommt sein seltsamer Name, Tulpe?“
„Das geht zurück auf eine Wette, die er als Junge verlor. Es dauerte eine Weile, bis wir darauf gestoßen sind und somit ein weiteres der vielen Rätsel der Weissagung lösen konnten. Er sprach nicht...“
„Rendon ...“, ermahnte Yanea ihren Bruder mit scharfer Stimme.
„... er spricht nicht gern darüber. Bei einem Streit mit einem anderen Jungen war er der Unterlegene. Der Verlierer musste, so hatten sie es zuvor untereinander ausgemacht, zwei Dutzend Tulpen essen. Weil Pail ein stark ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl besaß - besitzt - aß er sie. Dann wurde er krank und lag wochenlang im Bett. Seit diesem Tag wurde er von allen nur noch Tulpe gerufen.“
„Wie lange wollen wir auf seine Rückkehr warten?“, fragte Prak.
„Nicht lange“, erwiderte Yanea, „eine Stunde. Wir haben Zeit und sollten hier vor einer Entdeckung sicher sein.“
Sie ließen sich alle nacheinander nieder und warteten Die Zeit verging zu langsam. Kwin schaute immer wieder zu dem riesigen Torbogen hinüber, der wie ein zweiter Höhleneingang auf ihn wirkte. Aleps Unfall in den Höhlen der Steinholzberge fiel ihm ein und dann durchfuhr ihn ein heftiger Schreck. Er hatte völlig vergessen, dass sein Freund noch immer als vermisst galt. „Was ist mit Alep?“, fragte er laut.
„Wir wissen es nicht“, antwortete Yanea. „Bevor wir herkamen, haben wir Oberst Nika beauftragt, die Suche nach ihm fortzusetzen. Hauptmann Ratibor hat ihn zuletzt gesehen, als er das Gildehaus der Magier betreten hat, aber unsere Nachforschungen bei Swenta, dem Gildemeister, haben ergeben, dass Alep nie dort angekommen ist. Einer von beiden lügt.“
„Was ist mit Wigget? War er bei Alep?“
„Auch darüber konnten wir nichts in Erfahrung bringen. Er ist ebenfalls verschwunden.“
„Vielleicht weiß Aleps Diener Swerim, wo sein Herr sich aufhält. Habt ihr ihn gefragt?“
Yanea schüttelte den Kopf. „Wir haben Swerim tot am Fuß des Königshügels, halb versteckt unter Rosensträuchern, gefunden. Der arme alte Mann. Wir machen uns Sorgen um deinen Freund. Wenn er nicht bald wieder auftaucht, dann müssen wir annehmen, dass er zu Pretorius übergelaufen ist.“
„Alep?“, Kwin lachte auf. „Da kennt ihr ihn aber schlecht! So etwas würde er niemals tun. Irgend etwas ist passiert, aber er ist ganz sicher nicht bei Pretorius!“ Kwin erhob sich. „Ich gehe ihn suchen.“
„Sei nicht albern, Tischler“, sagte N’Gucha, „du wirst ihn nicht finden, wenn wir schon erfolglos nach ihm gesucht haben. Du findest ja nicht einmal allein den Weg aus dieser Höhle heraus.“
„Ich habe Twist. Er kennt den Weg.“
„Und dann?“, fragte Rendon, „du kannst nichts tun, was wir nicht schon längst versucht haben. Beruhige dich. Wenn er noch lebt, wird Oberst Nika ihn auch finden.“
Prak trat auf Kwin zu und legte ihm eine seiner großen Pranken auf die Schulter: „Setz dich, Tiefländer, und hab Vertrauen in das Geschick deiner Gefährten.“
Taukon betrachtete die ganze Auseinandersetzung mit amüsierter Gelassenheit. „Ich teile die Ansicht des Tischlers“, erklärte er. „Alep ist kein Verräter!“
Kwin schaute hinüber. Der Ritter lehnte entspannt an der Höhlenwand und begegnete seinem Blick mit unerschütterlicher Ruhe. Es war das erste Mal, dass Kwin ihn hatte sprechen hören.
„Begründe das!“, forderte Yanea.
Taukon schüttelte hintergründig den Kopf. „Er ist ein Mann von Ehre. Er mag keine Herrscher und auch keine Angeber. Er ist so tiefgründig wie das Land, das ihn ernährt. Und seine Wurzeln reichen zurück bis nach Heetland. Ich habe es in seinen Zügen gesehen. Er ist einer von uns. Freundschaft geht ihm über alles. Er würde Kwin Bohnthal keinen Moment aus den Augen lassen, wenn er nicht gezwungen wäre. Ihr beide“, er zeigte auf N'Gucha und Adengard, „müsstet es eigentlich gesehen habe, das unsichtbare Band, das ihn mit unserem Tischler verbindet und ihn zu seinem Beschützer macht.“ Er wartete einen Moment und sagte dann. „Ist es nicht merkwürdig, dass der Auserwählte den Tischler
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