Der falsche Engel
einfach. Wir stehen im Parkverbot.«
»Wir warten auf Fahrgäste.« Der Bursche gähnte herzhaft.
»Bist du ein Taxi oder was?«, fragte der Unterleutnant und gähnte ebenfalls.
»Genau, ein Taxi.«
»Welche Firma?«
»Moskauer Kutscher, eine Privatfirma.« Er reichte dem Unterleutnant eine Visitenkarte, dieser las: »Bestellung per Telefon«
und steckte sie ein.
»Und wohin wollen deine Fahrgäste um diese Zeit?«
»Ins Krankenhaus, glaub ich«, erwiderte der Fahrer verschlafen.
»Na schön. Zeig mir mal deine Papiere.«
Der Semmelblonde reichte ihm die Papiere. Der Unterleutnant schrieb alles Nötige in sein Notizbuch und bemerkte kopfschüttelnd:
»Du hast ja einen interessanten Namen – Djubel. In der Schule wurdest du bestimmt gehänselt, oder?«
»Wieso, ist doch ein ganz normaler Name«, entgegnete der Semmelblonde beleidigt.
»Pass auf, dass du nicht am Steuer einschläfst.« Der Unterleutnant legte die Hand an den Mützenschirm und ging zu seinem Auto
zurück.
Der Oberleutnant trank Kaffee aus einer Thermosflasche.
Aus dem Lautsprecher tönten Stimmen: »Los, wach auf, wir müssen sofort ins Krankenhaus.«
»Ins Krankenhaus? Spinnst du?«
»Deine Nähte sind aufgeplatzt!«
Der Oberleutnant trank seinen Kaffee aus, füllte den Becher wieder und reichte ihn dem Unterleutnant.
»Das arme Mädchen, das ist bestimmt großer Mist, wenn die Nähte aufplatzen«, seufzte der Unterleutnant, als Angelas klagendes
Gejammer aus dem Lautsprecher drang: »O mein Gott, das ist Blut!«
Im fliederfarbenen Scheinwerferlicht wirkte das Gesicht des Generals ganz durchsichtig. Aber er hielt sich sicher auf den
Beinen und versuchte seiner Frau ruhig zu erklären, wer Sergej war.
Der Chauffeur, besorgt, weil die drei mitten auf dem Flugfeld stehen geblieben waren, stieg aus und ging ihnen entgegen.
»Natalja, das ist ein Doppelgänger. Bei ihm wurde eine plastische Operation vorgenommen, er ist Major des FSB und wohnt jetzt
in der Wohnung von Stas. Du musst ihn Stas nennen, du musst dich verhalten, als wäre er dein Sohn.«
Aber Natalja schaute die beiden mit feuchten, glücklichen, vollkommen irren Augen an und sagte immer wieder: »Natürlich ist
das unser Sohn, Wladimir, unser Serjosha. Ich habe es immer gewusst …«
Der Chauffeur kam näher. Der General drückte den Kopf seiner Frau gegen seine Schulter und fragte: »Wie heißen Sie, Major?«
»Sergej«, antwortete dieser verwirrt. Der General maß ihn mit einem langen, seltsamen Blick und flüsterte ihm ins Ohr: »Sagen
Sie ihr, dass Sie Stanislaw heißen. Ich erkläre Ihnen alles später, Ihnen und ihr, später … Nennen Sie uns Mama und Papa,
genieren Sie sich nicht.«
»Guten Tag.« Der Chauffeur drückte dem General die Hand. »Probleme?«
»Hallo, Kostja.« Der General lächelte. »Die Landung war ein wenig heikel, wir sind erschöpft und überreizt. Dazu die schlaflose
Nacht. Alles in Ordnung.«
»Aber was ist denn mit Natalja?«
Sie stand wie angewurzelt da, umklammerte Sergejs Arm und reagierte nicht auf die Begrüßung des Chauffeurs.
»Mama wusste nicht, dass ich einen Unfall hatte«, erklärte Sergej laut, »und nun hat sie meine Narben entdeckt.« Er küsste
Natalja auf die Wange. »Komm ins Auto, Mama, sonst holst du dir noch eine Erkältung bei dem Wind.«
»Ja, ja.«
Diese Frau hatte nicht das Geringste gemein mit seiner Mutter. Als er sie so nannte, fühlte er sich einen Moment lang wie
ein Verräter. Evelina oder Pleschakow etwas vorzuspielen war wesentlich einfacher gewesen. Die Begegnung mit Gerassimows Eltern
fiel ihm überraschend schwer, obwohl der General der erste Mensch in seinem neuen Leben war, vor dem er sich nicht verstellen
musste.
Während der ganzen Fahrt flüsterten der General und seine Frau auf dem Rücksitz miteinander. Hin und wieder begegnete Sergej
im Rückspiegel mal seinem, mal ihrem Blick und bemerkte, dass Nataljas Augen nun wieder klar und vernünftig wirkten. Sie hatte
sich rasch von dem Schock erholt. Sergej konnte verstehen, dass die unerwartete Begegnung mit einem Doppelgänger des eigenen
Sohnes einer Mutter einen Schock versetzen konnte. Aber warum sie ihn gleich bei seinem richtigen Namen genannt hatte, war
ihm ein Rätsel.
Die Fahrt dauerte nicht lange. Von unterwegs rief Raiski an, und Sergej teilte ihm kurz mit, dass er die Eltern abgeholt habe
und alles in Ordnung sei.
Es wurde schon hell. Als sie ausstiegen, ging es dem General sehr
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