Der falsche Engel
nicht.
»He, halt mal kurz an, ja?«, wandte sie sich an den Fahrer.
»Wozu?«
»Ich muss ihr schnell eine Spritze geben.«
»Na und, wer hindert dich daran?«
»Im Fahren pack ich das nicht. Halt an, sie wacht doch gleich auf«, rief Mila leise, denn sie fühlte, dass Angela den Arm
bewegte.
Der Shiguli fuhr rechts ran und hielt. Angela stöhnte und öffnete die Augen. Mila hatte ihr mit der Nadel die Armbeuge blutig
gekratzt.
»Was soll das? Was machst du da?«, krächzte Angela, riss den Arm weg und rüttelte am Türgriff. Die Tür war natürlich gesichert.
Sie versuchte, den Hebel zu lösen, kam aber nicht mehr dazu. Mila ließ die Spritze fallen und umklammerte Angelas Arme.
»Ganz still, nicht zappeln, dann wirds bloß schlimmer«, murmelte sie, drehte ihr die Arme um und tastete unterm Sitz nach
der Spritze.
»Schlimmer gehts nicht mehr! Lass mich los, Mila, warum tust du das?«, wiederholte Angela fassungslos und versuchte sich loszureißen.
Mila hielt sie noch immer fest, zitterte jedoch merklich heftiger, und über ihre Wangen rannen Tränen.
»Du bist selber schuld!«, rief sie. »Denkst du, mir hats gefallen, wenn du mich als deine Haushälterin bezeichnet hast? Denkst
du, es macht mir Spaß, mich in den Strahlen deines Ruhms zu wärmen? Ich will leben, ich will eine eigene Wohnung, ein Auto,
einen Mann. Sie haben gesagt, wenn ich mich weigere, dann mauern sie uns beide in Beton ein, und dazu sind sie imstande, das
weißt du selber, du …«
Inzwischen hatte der Fahrer die Lehne heruntergeklappt und sich umgedreht; sein Arm beschrieb einen kurzen Halbkreis, und
er versetzte Angela einen leichten Handkantenschlag gegen den Hals. Sie sackte sofort zusammen und schlug mit der Stirn gegen
die Scheibe.
»So, jetzt gib ihr die Spritze, schnell!«, befahl der Fahrer.
»Hör mal, vielleicht muss das ja nicht sein, wie? Sie kann doch sowieso nicht weglaufen«, sagte Mila hastig und aufgeregt.
»Pass auf, ich steig aus, und du bringst sie allein hin. Kohle will ich gar keine mehr. Der Vorschuss reicht mir. Ich werde
stumm sein wie ein toter Fisch, das schwöre ich bei meiner Mutter. Ich kann das nicht, kapier doch, ich kann nicht! Wer weiß,
wie dieses starke Schlafmittel bei ihr wirkt, ihr braucht sie doch lebend, oder?« Mila weinte. »Ich hatte ja keine Ahnung
… Den Verband mit roter Farbe beschmieren, sie wecken und anziehen ist das eine, aber das hier …« Sie verstummte, als ein
kurzer, kalter Pistolenlauf ihre Stirn berührte.
»Gib ihr die Spritze!«, befahl der Fahrer und entsicherte.
»Ja doch, ja«, flüsterte Mila. In ihrer Tasche lagen noch mehrere Spritzen und eine ganze Schachtel Ampullen. Ihre Hände zitterten
nun nicht mehr, sie drückte die Luft aus der Spritze und traf beinahe auf Anhieb die Vene.
Der Aeroflot-Vertreter in Kerkura rief Nikolai nach anderthalb Stunden zurück und teilte ihm mit, Stas Gerassimow habe für
keinen Flug nach Moskau ein Ticket gekauft.
»Vielleicht woandershin? Nach Petersburg, nach Nikosia?«, fragte Nikolai.
»Nein. Ich habe alles überprüft«, antwortete der Angestellte. Nikolai bedankte sich und legte auf, griff aber gleich erneut
nach dem Hörer.
»Willst du nun doch die Polizei anrufen?«, erkundigte sich Oxana vorsichtig.
»Nein. Den General.« Nikolai wählte die Vorwahl von Russland, doch Oxana entriss ihm das Telefon.
»Warte. Das kannst du immer noch tun. Die Nachricht gibt dem Alten den Rest.«
»Ich muss es ihm mitteilen«, murmelte Nikolai düster.
»Unbedingt jetzt gleich?« Oxana kniff die Augen zusammen. »Und wenn Seine Durchlaucht heute Abend oder morgen früh wieder
da ist? Vielleicht ist er nur nach Kerkura abgehauen, ausspannen, mit Weibern rummachen, im Restaurant sitzen. Du kennst ihn
doch. Wenn er entführt worden wäre, sähe die Sache anders aus. Dann ja. Aber er ist selber abgehauen. Schick angezogen und
üppig parfümiert. Du konntest ihn schließlich nicht fesseln und mit Handschellen an ein Rohr im Bad ketten!«
»Nein, das konnte ich nicht.« Er nahm ihr das Telefon aus der Hand, legte es zurück, umarmte sie und murmelte: »Wahrscheinlich
hast du recht. Vielleicht kommt er wirklich wieder, wenn er sich genug amüsiert hat? Warten wir ab bis morgen.«
»Sag mal, kannst du nicht jemand anderen anrufen? Als das Ganze losging, war ein Oberst da«, sagte Oxana langsam, »so ein
Langer, Dürrer mit Brille. Ich sollte ihm von den Fotos in der Zeitschrift erzählen,
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