Der falsche Freund
bloß ein Traum gewesen, versuchte ich mich selbst zu beruhigen. Es hatte nichts zu bedeuten: Bilder, die nachts völlig willkürlich auftauchten. Trotzdem hatte ich Angst davor, wieder einzuschlafen und erneut erleben zu müssen, wie Troy stumm um Hilfe rief.
Ich wälzte mich aus dem Bett, zog meinen Bademantel an und tappte ins Bad. Im Spiegel sah ich, dass meine Stirn schweißnass und mein Haar feucht geschwitzt war. Nachdem ich mir mit einem Handtuch das Gesicht abgerieben hatte, ging ich in die Küche, bereitete mir eine Tasse heiße Schokolade zu und kehrte mit dieser sowie einer Ausgabe von London von A –
Z ins Bett zurück. Ich schlug die entsprechende Seite auf und starrte mit zusammengekniffenen Augen auf die winzigen Buchstaben, das Netz aus Straßen. Nachdem ich gefunden hatte, was ich schon halb befürchtete, legte ich den Plan weg und ließ mich mit geschlossenen Augen auf mein Kissen sinken. Bald würde es hell sein, die Vögel würden zu singen beginnen, und auch alle übrigen Geräusche des Morgens würden einsetzen.
Ich musste spätestens um halb neun in Bloomsbury sein. Um halb sieben stand ich auf, zog Shorts und ein ärmelloses Trikot an und darüber ein Sweatshirt. Der Verkehr war noch nicht sehr dicht, sodass ich bis zur Seidon Avenue in E8 nur fünfzehn Minuten brauchte. Der Name war irreführend, es handelte sich keineswegs um eine Allee – was »Avenue« ja eigentlich bedeutete –, sondern um eine breite Straße mit Wohnblöcken und Reihenhäusern auf beiden Seiten. Ich parkte direkt gegenüber Nummer 19. Nachdem ich noch mal einen Blick auf den Stadtplan geworfen hatte, um sicherzustellen, dass ich die Route hundertprozentig im Kopf hatte, schlüpfte ich aus meinem Sweatshirt und stieg aus dem Wagen. Es war noch recht kühl, und ein leichter Dunst lag wie ein Schleier über dem Horizont.
Zum Aufwärmen joggte ich ein paar Minuten auf der Stelle, dann lief ich zweimal die Straße auf und ab, um mich für den eigentlichen Lauf bereit zu machen.
Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr – 7:04 –, holte noch mal tief Luft und startete in ziemlich schnellem Tempo los: ein Stück die Straße entlang, nach rechts in eine Parallelstraße, dann wieder nach rechts, durch eine kleine Gasse mit Gestrüpp auf der einen und Häusern auf der anderen Seite. Die Gasse führte zu einer großen Wohnanlage. Ich sprintete um die Seite mit den Notausgängen herum, bog auf den Parkplatz ein und lief auf der anderen Seite wieder hinaus, eine weitere Gasse entlang, vorbei an kleinen Geschäften und einer Eisenbahnbrücke.
Schließlich ging es nach links in eine Sackgasse und durch eine schmale Passage auf eine Fußgängerbrücke, die über die Bahnlinie führte. Inzwischen wusste ich genau, wo ich mich befand. Ich war hier schon Dutzende Male gewesen, nein, hunderte Male. Ich rannte die Straße entlang, bog nach rechts ab und blieb keuchend stehen. Kirkcaldy Road. Lauras Straße.
Lauras Haus. Ich blickte zu ihrem Fenster hoch. Die Vorhänge waren nicht zugezogen, aber es brannte kein Licht. Ich warf einen Blick auf die Uhr. 7:11. Sieben Minuten.
Ich wartete ungefähr eine Minute, dann lief ich die gleiche Strecke zurück. Diesmal brauchte ich nur etwas mehr als sechs Minuten. Wenn man mit dem Auto den größeren Straßen folgte, benötigte man wahrscheinlich gut zwanzig Minuten, weil die Strecke dann wesentlich länger war: Man musste einen Bahndamm entlangfahren, eine Brücke überqueren und ein paar große Baustofflager umrunden. Zu Fuß aber konnte man den direkten Weg durch die kleinen Gassen zwischen den Häusern nehmen, der für einen Polizisten, der mit dem Streifenwagen herumfuhr, nicht zu sehen war. Auf diese Weise brauchte man etwa ein Viertel der Zeit, auf keinen Fall fünfundzwanzig Minuten.
Um acht sperrte ich die Wohnung in Bloomsbury auf. Bill hatte mir einen Schlüssel gegeben. Ich würde die Bodendielen abschleifen, was nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung war, weil es sich dabei um eine laute und extrem staubige Angelegenheit handelte. Nachdem ich sämtliche Regale mit Laken abgedeckt hatte, setzte ich Ohrenschützer und eine Gesichtsmaske auf und bewegte mein Schleifgerät drei Stunden lang gleichmäßig in dem großen Wohnzimmer auf und ab, bis unter dem Dreck mehrerer Jahrzehnte die schöne honigfarbene Maserung des Holzes zum Vorschein kam.
Als ich endlich fertig war, kauerte ich mich auf den Boden und fuhr mit einem Finger über das Holz, das neue Muster und
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