Der falsche Freund
Minuten«, erinnerte ich ihn.
»Ich muss bloß quer über den Platz.« Inzwischen bekam er die Augen schon ein bisschen weiter auf. »Sie haben gute Arbeit geleistet.« Er betrachtete den Boden. »Was nicht heißen soll, dass ich mich mit solchen Sachen auskenne.«
»Das meiste macht die Maschine«, antwortete ich. »Sie müssen entschuldigen, dass ich in Ihren Büchern herumgeschnüffelt habe.«
»Dafür sind sie doch da.«
»Sind Sie Arzt?«
»Gewissermaßen.«
»Interessant«, murmelte ich lahm. Ich musste an Brendans Hundescheißeaktion denken. Und an meinen Traum.
Bruchstücke daraus stiegen aus meiner Erinnerung empor wie kleine, zur Wasseroberfläche gleitende Fische.
»Mein Name ist Don.«
»Ich weiß. Ich heiße Miranda.« Vorsichtig nippte ich an meinem Kaffee. Er schmeckte leicht nach Schokolade. »Sie beschäftigten sich mit Geisteskrankheiten?«
»Das ist richtig.«
»Bestimmt nervt es Sie schrecklich, wenn Ihnen die Leute immerzu blöde Fragen stellen, aber darf ich Sie trotzdem was fragen?«
»Worum geht’s?«
»Um jemanden, von dem ich gehört habe. Einen Freund von einem Freund.« Ich schob mir ein Stück Shortbread in den Mund. »Von einem Freund«, fügte ich mit belegter Stimme hinzu.
»Ja, klar«, meinte er mit einem leichten Lächeln.
»Ich weiß eigentlich nicht viel über ihn.« Was ja sogar stimmte.
Ich erzählte Don von Brendan. Ich fing mit der Hundescheiße an, und als ich bei der Geschichte mit dem überfluteten Bad angelangt war und gerade sagte: »Und dann kam sie nach Hause und stellte fest, dass ihre Wanne übergelaufen war, obwohl sie genau wusste, dass sie das Wasser …«, unterbrach mich Don mit einer Handbewegung.
»Moment«, sagte er. Er zündete sich eine zweite Zigarette an.
»Was?«
»Das sind Sie, nicht wahr?«, fragte er. »Die Frau?«
»Ähm, ja, Sie haben Recht.«
»Gut.«
»Gut?«
»Ich befürchtete schon einen Moment, Sie wären die Person, die die Hundescheiße in den Wagen gestopft hat.«
»Das war ein Mann.«
»Sie hätten das Geschlecht ändern können. Um mich in die Irre zu führen.«
»Ich weiß, wie erbärmlich das alles ist«, erwiderte ich.
»Erzählen Sie weiter.«
Also erzählte ich. Obwohl die Zeit bis zu seinem Vortrag langsam knapp wurde, berichtete ich ihm die ganze Geschichte
– sogar, dass Brendan mir anlässlich seiner Verlobung mit meiner Schwester ins Ohr geflüstert hatte, er müsse daran denken, wie er in meinem Mund gekommen sei. Zum Schluss erzählte ich ihm von Troy und Laura – aber sehr schnell, damit ich nicht wieder weinen musste. Als ich fertig war, griff ich nach meiner Tasse und leerte sie.
»Was halten Sie davon?«, fragte ich. Aus irgendeinem Grund hämmerte mein Herz wie wild.
»So ein Mist«, antwortete er.
»Und das ist das Ergebnis, zu dem Sie nach reiflicher Überlegung gelangt sind?«
»Seien Sie froh, dass Sie ihn los sind.«
Ich schnaubte verächtlich.
»Darauf wäre ich selbst auch gekommen. Ich möchte von Ihnen wissen, ob der Mann ein Psychopath ist. Könnte es sich bei einem solchen Menschen um einen Mörder handeln?«
Er hob abwehrend die Hände.
»Es ist noch ziemlich früh am Morgen«, erklärte er.
»Ich finde ehrlich gesagt, dass es schon ziemlich spät am Morgen ist.«
»Ich möchte Sie nicht mit hochtrabenden Formulierungen nerven, indem ich Ihnen antworte, dass ich erst mal meine eigenen Untersuchungen durchführen müsste, um mich zu dieser Frage äußern zu können. Genauso wenig möchte ich mit irgendwelchen medizinischen Fachausdrücken um mich werfen.
Der wesentliche Punkt ist, dass es so herum nicht funktioniert.
Ich kann einfach nicht sagen, dass dieses Verhaltensmuster bedeutet, dass er ein Mörder ist …«
»Ein Mörder sein könnte «, unterbrach ich ihn.
»Es funktioniert andersherum«, fuhr er fort. »Mal angenommen, ein Täter hätte bestimmte Arten von Gewalttaten begangen. In diesem Fall würde es mich nicht überraschen, in seiner Vorgeschichte auf die Sorte Verhalten zu stoßen, die Sie beschrieben haben.«
»Na bitte, da haben wir es ja«, meinte ich.
»Nein, so einfach ist das nicht«, widersprach er. »Zwar lassen sich bei den meisten Mördern tatsächlich schon früher Anzeichen von gestörtem Verhalten erkennen. Andererseits aber legt eine sehr große Anzahl von Menschen gestörtes Verhalten an den Tag, ohne jemals die Grenze zu überschreiten.«
»Aber falls er die Grenze überschritten hat, wovon ich ausgehe, auch wenn außer mir niemand
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