Der falsche Freund
geantwortet hatte, so gegen halb sieben. Ich zwang mich, mich daran zu erinnern, wie ich um die vereinbarte Zeit die Tür aufgeschoben und Troys Leiche dort baumeln gesehen hatte. Sein kalkweißes Gesicht und seine starren Augen. Den umgekippten Stuhl zu seinen Füßen.
Ich schalt mich selbst hysterisch. Verrückt. Ich wünschte mir so sehr, dass Troy sich nicht umgebracht hatte und meine Eltern und ich uns wegen seines Todes nicht schuldig fühlen mussten, und mir graute so sehr davor, mir die Verzweiflung vorzustellen, die ihn zu dieser Tat getrieben hatte, dass ich mir stattdessen lieber Horrorgeschichten ausdachte.
Es begann ein wenig zu regnen. Ich leerte meinen Whisky und kehrte ins Wohnzimmer zurück, blieb aber in der Nähe der Tür stehen, weil es mir widerstrebte, mit jemandem über Troy zu sprechen, ich zugleich aber auch über nichts anderes sprechen wollte. Kerry hatte sich bei meinem Vater untergehakt. Ihre Wimperntusche war verschmiert, und sie hatte rote Flecken am Hals. Brendan stand allein auf der anderen Seite des Raums.
Unsere Blicke trafen sich einen Moment, dann sah er wieder weg und verzog gequält das Gesicht. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass er das nur für mich inszenierte, ein Schauspiel ganz allein für mich. Tränen liefen ihm übers Gesicht. Er ballte eine Hand zur Faust, presste sie an den Mund und krümmte sich dabei zusammen, als müsste er einen Schrei unterdrücken.
Laura ging zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
Sie blieb eine Weile neben ihm stehen, während sein massiger Körper zuckte, als würde er von einem Weinkrampf geschüttelt.
Als er sich schließlich wieder aufrichtete, nahm sie ihre Hand weg, und die beiden redeten miteinander. Nach einer Weile sah ich sie zu mir herüberblicken.
Ich wandte mich ab und ging nach oben, um meine Mutter zu suchen, die ich nirgendwo entdecken konnte. Ich fand sie in Troys altem Zimmer – das wohl jetzt das Zimmer von Kerry und Brendan war, zumindest standen ihre Taschen neben der Tür.
Sie saß auf seinem Bett, zupfte an der Bettwäsche herum und starrte müde ins Leere. Zum ersten Mal fiel mir auf, was für Tränensäcke sie bekommen hatte und wie alt und faltig ihr Gesicht geworden war. Sogar ihr Haar hatte an Glanz verloren.
Ich setzte mich neben sie und legte ihr eine Hand aufs Knie. Sie blickte auf.
»Ich musste mich mal kurz zurückziehen«, erklärte sie.
»Das ist doch verständlich«, antwortete ich.
»Irgendwie fühle ich mich so rastlos«, fuhr sie fort. »Ich halte es nirgendwo lange aus.«
»Ich weiß, was du meinst.«
»Miranda?«
»Ja.«
»Er war auf dem Weg der Besserung. Ganz bestimmt.«
»Ich weiß.«
Ich blieb noch eine Weile neben ihr sitzen, dann ging ich wieder nach unten, wo sich bereits einige verabschiedeten, und sah mich nach der Whiskyflasche um.
Laura brachte mich nach Hause, weil ich viel zu viel Whisky getrunken hatte, um noch selbst fahren zu können. Sie begleitete mich nach oben in meine Wohnung, half mir aus dem Mantel, bugsierte mich aufs Sofa und zog mir die Schuhe aus.
»So«, sagte sie. »Was möchtest du: Tee oder Kaffee?«
»Es wäre doch schade um den schönen Rausch«, entgegnete ich. »Whisky?«
»Kaffee«, erklärte sie energisch. »Und ich lasse dir ein Bad einlaufen.«
»Das ist nett von dir. Musst du aber nicht. Ich komme schon klar.«
»Ich mache es gern.«
Sie füllte den Kessel mit Wasser.
»Wir wollten uns diese Wohnung teilen«, bemerkte ich.
»Ich weiß. Möchtest du etwas essen?«
»Ich habe einen schrecklichen Geschmack im Mund«, antwortete ich. »Was hat Brendan denn gesagt?«
»Gesagt?« Sie sah mich fragend an.
»Du hast dich doch mit ihm unterhalten. Nachdem er seine Tränenshow abgezogen hatte.«
»Das ist nicht fair, Miranda.«
»Ach nein?«
»Er ist am Boden zerstört, möchte es vor euch aber nicht zeigen. Er glaubt, für die Familie stark sein zu müssen.«
»Das hat er gesagt?«
»Ja.«
»Das ist doch alles bloß Show.«
»Du irrst dich«, widersprach sie. »Ich weiß, wie du über ihn denkst, aber ihr seid ihm wirklich wichtig. Ihr seid schließlich die einzige Familie, die er hat. Troy war für ihn so eine Art kleiner Bruder.«
»Du also auch.« Ich fühlte mich plötzlich unendlich müde.
»Was?«
»Er hat dich auch schon auf seine Seite gezogen.«
»So ein Unsinn.«
»Das sagt er auch, aber er lügt. Er steht auf einer Seite und ich auf der anderen. Jetzt noch mehr als vorher. Glaub mir, du kannst nicht auf
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