Der falsche Mann
demselben Modell, das bei Lorenzo zum Einsatz kam.«
Sie musterte mich. Keine Ahnung, ob sie wirklich den Details lauschte oder ob sie erwog, welche Art von Beziehung sie zukünftig zu mir haben wollte. Wie dem auch sein mochte, mir half es, die Sachverhalte laut auszusprechen, sie einmal jemanden zu erklären, der nicht Teil des Verteidigungsteams war.
» Zwei Morde mit einer Pistole aus ziemlicher Entfernung und mit hoher Treffgenauigkeit«, sagte ich. » Kathy Rubinkowski wurde zwischen die Augen geschossen, und auch bei Lorenzo traf jede Kugel ins Schwarze – eine in die Kehle und zwei in die Kniescheiben.«
» Also war alles identisch?«, fragte sie.
» Nein, nicht unbedingt«, sagte ich. » Bei dem Mord in Franzen Park hat man die Waffe und die Patronenhülsen gefunden. Anhand der Patronenhülsen konnte man in etwa die Distanz des Schützen zum Opfer ermitteln.«
» Demnach war doch nicht alles gleich.«
» Nicht ganz. Außerdem hat er sie ausgeraubt.«
» Er hat die getötete Frau ausgeraubt?«
» Richtig. Man hat ihre Handtasche, ihr Handy und ihre Halskette bei meinem Mandanten gefunden.«
» Das klingt doch sehr verschieden.«
» Da hast du recht, so klingt es. Was mich vermuten lässt, dass der Mord von langer Hand geplant war und der vermeintliche Raub die Ermittler nur auf eine falsche Spur lenken sollte. Das Ganze sollte wie ein gewöhnlicher Feld-, Wald- und Wiesenmord aussehen.«
» Du glaubst also, derselbe Täter hat beide Opfer erschossen? Lorenzo und diese Frau?«
» Durchaus möglich, ja.«
Tori kaute eine Weile darauf herum. Genau wie ich.
» Dass diese beiden Taten derart unterschiedlich sind, ist für dich in Wahrheit also ein Beweis für ihren Zusammenhang«, sagte sie schließlich.
Ich lachte. Natürlich war das nicht unbedingt das, was ein Mathematiker unter klarem, linearem Denken verstand. » So unterschiedlich sind sie auch wieder nicht, Tori.«
» Deiner Ansicht nach ist dein Mandant also unschuldig? Unschuldig im wahrsten Sinn des Wortes?«
Ich seufzte. » Wenn du mich noch vor ein paar Tagen gefragt hättest, hätte ich gesagt Nein. Aber jetzt? Ja, ich halte ihn für unschuldig. Und wenn mein Mandant auch nur halbwegs bei Verstand wäre, würde er mir sicher bestätigen, dass er dem Opfer kein Haar gekrümmt hat. Vermutlich hat er sie noch nicht mal zu Gesicht bekommen.«
» Wow.« Tori bohrte ihre Zehen in die Couchkissen. » Wenn dein Mandant unschuldig ist, lastet aber eine ziemliche Verantwortung auf deinen Schultern.«
» Besonders, wenn mich jemand daran erinnert.«
» Tut mir leid.« Sie zog sich eine Haarsträhne aus dem Mund. Mir gefiel alles, was sie mit ihrem Mund anstellte. Was auch immer Frauen heutzutage auf ihre Lippen tun, es lässt sie so leuchtend und voll wirken. Vermutlich habe ich irgendwann schon mal meine sexuelle Durststrecke erwähnt, oder?
» Aber wo ist der Zusammenhang?«, fragte sie. » Warum sollte jemand diesen Mafioso und irgendeine unschuldige Frau erschießen?«
» Genau das muss ich rausfinden.«
» Hast du schon eine Vermutung?«
» Nein«, sagte ich. » Ich weiß lediglich, wer die beiden getötet hat.«
» Oh.« Sie verschluckte sich an einem Lachen. » Du kennst den Mörder?«
Wenn es zählte, lediglich den Spitznamen des Mörders zu kennen und nicht seine wahre Identität, dann hatte ich eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wer beide Male den Abzug gedrückt hatte.
» Gin Rummy«, sagte ich.
Sie blickte mich ausdruckslos an. » Was?«
» Das ist eine Person. Gin Rummy. Er ist ein Mafiakiller. Oder ein Auftragsmörder, wie Lorenzo sagte. Kennst du den Unterschied zwischen einem Berufskiller und einem Auftragsmörder?«
Sie schüttelte den Kopf. » Ist das ein Rätsel?«
» Nein«, sagte ich. » Aber Gin Rummy ist eines. Lorenzo wollte die Identität von Gin Rummy gegen eine Du-kommst-aus-dem-Gefängnis-frei-Karte des FBI tauschen. Und jetzt frage ich mich natürlich, warum in aller Welt Lorenzo ausgerechnet mich ausgesucht hat, um seine Sünden zu beichten und sich Rat zu holen.«
» Ich kann nicht ganz folgen.«
» Gin Rummy hat die Tat in Franzen Park begangen, also den Mord an Kathy Rubinkowski«, sagte ich, während ich überlegte. » Und höchstwahrscheinlich war Lorenzo mit dabei, oder zumindest wusste er davon, und er war bereit, gegen Gin Rummy auszusagen. Natürlich, das erklärt auch, warum Lorenzo mich ausgewählt hat. Er kam zu mir, nachdem ich den Antrag auf Übernahme des Falls gestellt hatte.
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