Der falsche Mann
Ich war der neue Anwalt des Beklagten in Kathys Fall. Also musste ich mehr als jeder andere ein Interesse daran haben, dass ein Deal zwischen ihm und dem FBI zustande kam. Denn dadurch würde mein Mandant entlastet.«
Das schien ihr einzuleuchten. » Klingt, als müsstest du nur noch in Erfahrung bringen, wer Gin Rummy ist«, sprach Tori das Offensichtliche aus. » Kann ich dir dabei auf irgendeine Weise helfen?«
Ich lächelte. » Ich kann jede gebrauchen, die Hand anlegt«, sagte ich.
26
Kathy Rubinkowskis Eltern lebten in einem von Pensionären bevorzugten Vorort im Nordwesten. Die Siedlung war rund um einen künstlichen See angelegt worden. Die Häuser waren alle nach demselben Muster gestaltet – rote Ziegel, weißes Holz –, und diese Stepford-Atmosphäre weckte in mir das kalte Grausen. Für jemanden wie mich, der in der Stadt aufgewachsen ist, sind Vororte ein absolutes Unding. Meine Frau Talia hatte mal davon angefangen, als sie mit unserer Tochter schwanger war, und ich bekam sofort einen krampfartigen Wutanfall – vermutlich weil mir klar war, dass ich gegen den Strom schwamm und irgendwann klein beigeben würde, spätestens wenn das vierte oder fünfte Kind unterwegs und ein größeres Stadthaus absolut unerschwinglich war.
Ursprünglich hatte ich Shauna mitnehmen wollen wegen ihrer sensiblen Art, aber sie steckte bis zum Hals in der Arbeit an anderen Fällen und musste diese zu Ende bringen, bevor sie sich ganz auf Stoller konzentrieren konnte. Also schleifte ich Lightner mit, der normalerweise nicht unbedingt mit Mitgefühl begabt ist, es aber einschalten kann, sofern es im Job darauf ankommt.
Ich klingelte an der Tür, dann traten Lightner und ich instinktiv einen Schritt zurück, um nicht bedrohlich zu wirken. Es war heller Tag, und wir befanden uns im Blickfeld von zwanzig weiteren Siedlungshäuschen, dennoch waren wir zwei massive Gestalten, die da vor der Haustür auftauchten.
Eine Männerstimme drang aus der Sprechanlage neben der Tür. » Ja?«
» Mr. Rubinkowski, hier ist Jason Kolarich.«
Ich hatte vorher angerufen und ihn mit viel Überzeugungsarbeit zu einem Termin bewegen können. Ray Rubinkowski war alles andere als glücklich über meinen Anruf gewesen, trotzdem hatte er mich höflich bis zu Ende angehört.
Er kam in kariertem Hemd und blauer Cordhose an die Tür. Vermutlich die klassischen Rentner-Dad-Klamotten, auch wenn ich da kein Experte war. Die Garderobe meines eigenen Vaters beschränkte sich dieser Tage auf den grauen Overall der Strafanstalt von Marymount.
Das Alter hatte Rubinkowskis Stimme brüchig werden und ihn um die Hüften ein paar Pfund zulegen lassen, aber er hatte einen klaren Blick und wirkte sympathisch. Eine gewisse Ähnlichkeit mit seiner verstorbenen Tochter, seinem einzigen Kind, war unverkennbar. Dank meiner Recherchen wusste ich, dass er bis zu seiner Pensionierung vor zwei Jahren Bilanzbuchhalter gewesen war.
Er nahm uns die Mäntel ab und führte uns in den von ihm als Salon bezeichneten Raum. Soweit ich weiß, ist dieser Ausdruck heute kaum mehr gebräuchlich. Seine Frau Doreen saß auf der Couch, die Hände im Schoß. Sie hätte ebenso gut im Wartezimmer einer Zahnarztpraxis sitzen und auf eine Wurzelbehandlung warten können. Vermutlich wäre das für sie sogar um einiges angenehmer gewesen.
» Wir haben Kaffee gemacht«, sagte sie statt einer Begrüßung.
» Danke, im Moment nicht«, antwortete ich für uns beide. Joel und ich ließen uns nieder.
» Was Sie da am Telefon erzählt haben … das war überraschend«, sagte Ray. » Es gibt also noch offene Fragen darüber, wie … wie es passiert ist?«
Ich hatte mich bei meinem Anruf sehr vorsichtig ausgedrückt. Die Familie sollte nicht gleich bei der Staatsanwältin anrufen und ihr verraten, dass die Verteidigung ihre Strategie geändert hatte. Irgendwann wäre das wohl unvermeidlich, aber so lange wie irgend möglich wollte ich mir nicht in die Karten schauen lassen.«
» Mr. und Mrs. Rubinkowski«, begann ich.
» Ray«, sagte er. » Und Doreen.«
Er war wesentlich entgegenkommender, als ich es an seiner Stelle gewesen wäre. » Wir haben tatsächlich ein paar Fragen. Ich habe den Fall neu übernommen. Ich bin erst seit zwei Monaten dabei, und vielleicht hilft ein frischer Blick auf die Dinge.«
Sie antworteten nicht. Sie schienen verwirrt.
Ich fragte: » Könnte jemand einen Grund gehabt haben, Ihrer Tochter schaden zu wollen?«
Kathys Mutter zuckte zurück und legte sich eine
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