Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)
die übliche Größe erreicht. Das Einzige, was ihn jetzt noch von einem normalen Aufzug unterscheidet, ist, dass der Knopf direkt auf der Tür sitzt. Aber wie sollte es auch anders sein – schließlich gibt es keinen Schacht.
»Es kann losgehen«, erklärt Maniac. Er tritt an die Kabine heran und drückt auf den Knopf, worauf die Türen sich öffnen. Im Innern brennt Licht.
»Nur stimmen die Maße immer noch nicht«, lästert Bastard. »Der Fahrstuhl ist viel zu klein. Da passen höchstens vier Leute rein.«
»Dafür gibt es aber keine Gewichtsbeschränkung«, hält Maniac grinsend dagegen.
»Das ändert aber nicht viel an den Außenmaßen, oder?«
Das Problem lässt sich nicht von der Hand weisen. Wir stehen vor einem ziemlich kleinen Fahrstuhl – und wir sind acht.
»Da müssen wir uns halt etwas dünner machen«, erklärt Maniac. »Aber ihr seid ja wohl alle schon mal zu sechst in einem Saporoshez gefahren?«
»Pat! Ich nehme dich auf die Schultern!«, reißt Bastard das Ruder an sich, da er offensichtlich keine Zeit mit leerem Wortgeplänkel verlieren will. Er beugt sich runter, und Pat steigt schweigend auf seine breiten Schultern.
»Dass du dich immer kahl scheren musst!«, ruft er. »Soll ich mich etwa an deinen Ohren festhalten?«
Die beiden betreten als Erste die Kabine – die daraufhin bereits zur Hälfte ausgefüllt zu sein scheint.
»Leonid nimmt … Nike«, entscheidet Dschingis.
Seufzend beuge ich mich vor.
Nike steigt grinsend auf meine Schultern. »Bin ich auch nicht zu schwer?«, erkundigt sie sich.
»Ich habe ein Jahr lang als Möbelpacker gearbeitet«, teile ich ihr mit, ohne jedoch zu erwähnen, dass ich in der Tiefe gearbeitet habe. Abgesehen davon ist sie wirklich nicht schwer. Eine schöne Frau auf den Schultern zu tragen – das ist eben etwas anderes, als einen Sack Kartoffeln zu schleppen.
Ich stelle mich neben Bastard. Obwohl sich unsere Reiter gewaltig krümmen, stoßen sie mit dem Rücken an die Decke.
»Rein mit euch!«, kommandiert Dschingis. Maniac, Zuko und Crazy treten an die Kabine heran. Im Grunde sind sie nicht sonderlich kräftig, einer von ihnen käme ohne Probleme noch rein …
Aber es müssen sich ja alle drei hereinquetschen. Maniac verschmilzt geradezu mit der Wand, legt den Finger auf einen der Knöpfe und schreit Dschingis zu: »Was ist mit dir?«
Statt zu antworten, nimmt Dschingis Anlauf und bohrt sich in uns herein. Ich spüre, wie meine Rippen knacken. Pat stößt einen begeisterten Schrei aus, Zuko ein gepresstes Fiepen, denn er wird völlig zermalmt.
Maniac drückt den Knopf, und die Türen schließen sich. Die Knöpfe in diesem Fahrstuhl verdienen eine Extrabeschreibung: Sie sind aus Plastik, von Zigaretten angekokelt, einige leuchten, andere nicht – vermutlich sind ihre Lämpchen durchgebrannt. Und sie passen bestens zum Rest des Aufzugs, diesem verdienten Veteran aus einem achtstöckigen Plattenbau, voller Graffiti, Kraftausdrücke und Lobeshymnen auf Spartak, voller Telefonnummern, deftiger Flüche, Herzchen und Namen.
»Los geht’s!«, verkündet Maniac feierlich. Er drückt einmal die Eins und zweimal die Null. Wahrscheinlich ist die letzte Taste, die Null, das einzige Detail, das diesen Fahrstuhl von anderen unterscheidet.
Es ruckt einmal, gleich darauf noch mal.
»Und du bist sicher, dass dieses Ding einen Kanal zum hundertsten Level bohrt?«, fragt Crazy. Die Frage bleibt unbeantwortet. Der Fahrstuhl setzt sich langsam in Bewegung, allem Anschein nach nach oben.
Wie das wohl von außen aussieht? Steigen wir gen Himmel auf? Oder lösen wir uns in Luft auf? Keine Ahnung. Der Warlock
9000 ist in dieser Hinsicht beeindruckender gewesen. Da sind der Loser und ich durch einen endlosen Tunnel gefallen, vorbei an den verschiedenen Levels des Labyrinths, vorbei an irgendwelchen völlig unbekannten Räumen.
Das war schön, simpel und amüsant.
Wahrscheinlich hat Vika recht. Damals steckte Deeptown vermutlich tatsächlich noch in den Kinderschuhen. Und in der Kindheit ist alles anders. Prügeleien enden nur mit Tränen, die Farben sind reiner und greller, es gibt nur eine große Liebe, und die hält fürs ganze Leben …
Plötzlich wackelt der Fahrstuhl und bleibt stehen, setzt sich kurz darauf jedoch wieder in Bewegung.
»Was ist eigentlich, wenn wir steckenbleiben, Schurka?«, will der Magier wissen. »Gibt es einen Notruf? Ich werde es hier drin nämlich nicht lange aushalten! Nicht bei der furchtbaren Klaustrophobie, unter der ich
Weitere Kostenlose Bücher