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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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vorsichtig auf das Gerüst.
    »Hurra!«, rief der Magier begeistert aus. »Was ich mal wieder für Glück habe!« Zuko stieg auf meine Schultern. »Soll ich dir was vorsingen?«, fragte er. »Damit der Abstieg etwas lustiger wird. Ich habe eine Stimme, die verschlägt dir glatt die Sprache. Ich hätte gut und gern Opernsänger werden können, ungelogen!«
    »Aber ich habe kein Gehör, ich wüsste deine Darbietung gar nicht zu schätzen!«
    Damit begann der Abstieg.
    Crazy, Nike und ich hatten die anderen nach einer guten halben Stunde abgehängt, auch wenn Crazy und mich unsere Reiter etwas störten. Nike wiederum musste eine geborene Alpinistin sein. Sie stieg konzentriert hinab, ohne in die Tiefe zu spähen, gleichmäßig wie ein Roboter.
    »Macht jetzt bloß nicht schlapp, Jungs!«, jaulte der Magier auf meinem Rücken. »Sonst brettern wir hier wie die Irren runter!«
    Die eine Hand packte das eine Stahlrohr, die andere das andere. Dann den linken Fuß versetzen und mit einer Hand nach unten zu den nächsten Trägern. Dann mit dem rechten Fuß hinterher und wieder umgreifen …
    Wie einfach das war! Das Gerüst wies eine klare geometrische Anordnung auf. Maniac an meiner Stelle hätte garantiert in einer Minute ein Skript für den Abstieg geschrieben und wäre inzwischen Kaffee trinken gegangen.
    Doch wir Diver waren aus irgendeinem Grund außerstande, ein Programm zu schreiben. Dafür konnte umgekehrt kein Hacker eigenständig aus der Tiefe auftauchen.
    Für einen Meter brauchte ich gut zehn Sekunden, für fünf eine Minute. Die Rechnung war simpel: In rund drei Stunden wären wir unten.
    Der linke Fuß, die rechte Hand …
    »Ein normaler Mensch kann dieses Tempo nicht lange durchhalten«, sagte Crazy. Er machte sich offenbar die gleichen Gedanken wie ich. »Die anderen dürften bald erschöpft sein. Dann müssen sie sich ausruhen. Sie werden fünf, sechs Stunden brauchen … vielleicht etwas länger … sie bleiben ja schon jetzt zurück. «
    »Gibt es eine Alternative?«, wollte ich wissen.
    »Daran hätten wir früher denken müssen«, erwiderte Crazy.
    Plötzlich fing der Magier auf meinem Rücken an zu kichern. »Da drüben! Da ist sie, unsere Alternative! An der Wand!«
    Ich drehte den Kopf und machte mich auf alles gefasst: auf hundert Monster, einen Hubschrauber, Karlsson oder einen Fahrstuhl.
    Aber da waren nur weitere Rohre.
    »Und ihr wollt Diver sein? Warum seht ihr das dann nicht?«, spottete Zuko. »Da!«
    Deep.
    Enter.
    Ein regenbogenfarbener Schneesturm. Die Welt um mich herum wird wieder zu meiner Realität. Ich halte mich mit einer Kraft an einem der Stahlrohre fest, die mich selbst erstaunt. Der Raketenwerfer wird immer schwerer. Selbst der spindeldürre Zuko scheint mit einem Mal einen ganzen Zentner zu wiegen.
    Immerhin sehe ich jetzt, was Zuko meint.
    An den Wänden ziehen sich straffe Stahlseile in die Tiefe. Sie sind glatt und akkurat. Anscheinend sind die Röhren im Innern des Gebäudes nicht willkürlich verteilt worden, sondern dienen doch irgendwie der Stabilität. Wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, ist auch der Fernsehturm von Ostankino an solchen Trossen »aufgehängt«.
    »Warten wir auf die anderen«, entscheide ich. »Magier, halt dich irgendwo fest, du bist nämlich verdammt schwer! Ich bin kurz davor abzustürzen!«
    Zuko greift sofort nach einer Stahlröhre.
    Nach einer ganzen Weile erreichen uns die anderen. Bastard schnauft, sein Gesicht ist puterrot und trieft vor Schweiß. Maniac dagegen ist kreidebleich, wenn auch konzentriert.
    Dschingis flucht – ohne Punkt und Komma, leise und ausgesprochen fantasievoll.
    »Leute«, wende ich mich an sie, »auf diese Weise schafft ihr es nicht nach unten.«
    »Was du nicht sagst!«, giftet Maniac.
    »Aber es gibt eine Alternative!« Ich nicke in Richtung der Seile.
     
    Als Erster macht sich Crazy für den Express-Abstieg bereit.
    »Ich bin im Team letztlich ein Fremder«, erklärt er ohne Umschweife. »Wenn alles in Ordnung ist … könnt ihr mir folgen.«
    Seine kugelsichere Weste überlässt er Maniac. Auch dafür hat er eine logische Erklärung parat: »Wenn du bremsen willst, press
die Brust gegen das Seil. Die Weste sollte das aushalten, aber pass auf, sie wird heiß und fängt vielleicht an zu schmurgeln.«
    »Und was ist mit dir?«
    »Mir wird es nicht wehtun …«, grinst Crazy.
    Wir rücken alle unsere Gürtel und Riemen raus. Jeder braucht eine Schlinge für die Hände, um die Geschwindigkeit zu regulieren, und

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