Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
sich ein Nymphchen hier seinen Traum erfüllt. Die Decke bestand aus schwarzem Spiegelglas, auch dies eine Verkörperung besagter Träume.
    Außerdem war das nicht bloß ein Klo, sondern eine Nasszelle, selbst wenn sich dieser Begriff aus Sowjetzeiten hier äußerst merkwürdig ausnahm! Es war ein gigantisches Bad. Ob es für Basketballer gedacht war? Ein Bidet. Ein Pissoir. In einer Privatwohnung ein Pissoir – das muss man sich mal vorstellen! Etwas abseits von diesen Gerätschaften breitete sich unterm Fenster, das schräg war wie bei einer Dachwohnung und dir freie Sicht auf den Himmel bot, ein dreieckiger Jacuzzi aus. In dem Wasser sprudelte.
    Ich machte mich darauf gefasst, in der Wanne ein lebendes Krokodil vorzufinden. Oder die Leiche eines Menschen.
    Die Realität erwies sich als banaler und erstaunlicher zugleich.
    Der Jacuzzi war bis oben hin mit grünen Halbliterflaschen gefüllt. Die Etiketten waren längst abgeweicht und schwammen im sprudelnden Nass. Ich steckte die Hand ins Wasser – das eiskalt war! – und fischte ein Etikett heraus.
    Shiguljowskoje.
    Uralt noch dazu, morgen lief es ab.
    Ich musste verrückt geworden sein. Anders ließ sich das nicht erklären. Ich litt nicht an einer Deep-Psychose, sondern an Schizophrenie. Ein solches Haus konnte sich doch nur in der Tiefe befinden, nicht aber mitten in Moskau!
    Oder befand ich mich tatsächlich immer noch im virtuellen Raum? War ich gar nicht aus der Tiefe aufgetaucht? Hatte ich den Austritt nur geträumt? War es eigentlich morgens, Vika längst bei der Arbeit, während ich immer noch vor der Kiste hockte und meine steifen Finger über das Touchkeyboard zuckten, das mir Vika zu Neujahr geschenkt hatte?
    Hatte ich mir nur selbst etwas vorgegaukelt? Wie es ja schon einmal geschehen war …
    »Tiefe, Tiefe, ich bin nicht dein«, flüsterte ich. »Tiefe, Tiefe, gib mich frei.«
    Nichts. Aber selbst darauf durfte ich nicht viel geben. Jedenfalls seit zwei Jahren nicht mehr.
    Ganz ruhig! Das ist jetzt das Wichtigste. Nicht die Nerven verlieren!
    Die Tiefe bringt niemanden um. Das liegt gar nicht in der Natur der virtuellen Welt, denn sie spiegelt nur das wider, was in uns steckt. Es ist alles okay.
    Abgesehen davon gab es einen simplen Trick, um herauszufinden, in welcher Welt ich mich aufhielt.
    Ich holte ein Taschenmesser heraus, pulte eine kleine, spitze Klinge heraus und krempelte den Ärmel meines Hemdes hoch.
    So. Und jetzt die Spitze rein ins Fleisch. Auch wenn mir das nicht schmeckte.
    Ich achtete darauf, keine Vene zu treffen, als ich mir den Arm aufschlitzte. Schmerz ließ mich aufheulen.
    Das tat verdammt weh! Mehr, als wenn jemand mich aufgeschlitzt hätte.
    Ich leckte den Kratzer ab, der nicht sehr tief war, aus dem es aber trotzdem gewaltig blutete, und zog aus der Gesäßtasche meiner Jeans ein Päckchen mit Pflastern. Halblaut vor mich hinfluchend klebte ich eins davon auf die Wunde.
    Ich befand mich nicht in der Tiefe . So stark, wie der Schmerz war, hätte er mich aus der virtuellen Welt herausschleudern müssen. Nein, ich musste mich in der realen Welt aufhalten. In einer realen Wohnung. In der völlig durchgeknallte Typen lebten.
    Nun ging ich zum Pissoir hinüber und tat endlich das, weswegen ich hier hergekommen war. Anschließend spritzte ich mir kaltes Wasser ins Gesicht und glotzte verdrossen mein Spiegelbild an. Rote Augen, hohlwangig … Es war kein Wunder, dass mich die Typen am Eingang nicht hatten durchlassen wollen. Und noch weniger erstaunte es mich jetzt, dass Dschingis auf Anhieb in mir einen Bewohner der virtuellen Welt erkannt hatte.
    Der Hausherr trank nach wie vor in der Küche Bier. Wahrscheinlich amüsierte er sich köstlich über mich.
    »Jetzt können wir weiterreden«, teilte ich ihm mit, als ich mich wieder setzte.
    »Ich bin ganz Ohr.«
    »Gestern hat mir jemand erzählt, ein Hacker, der unter dem Namen Bastard bekannt ist, sei bei New boundaries eingestiegen, einem Unternehmen, das Hardware herstellt.«
    Dschingis nickte. Das war ja schon mal ein gutes Zeichen.
    »Er wurde geschnappt«, berichtete ich weiter. »Zum Pech für den Hacker war der Objektschutz nämlich verdammt gut.«
    »In der Tat, das war er«, meinte Dschingis bloß. »Ich nehme an, Maniac hat denen den Schutz eingerichtet. Das ist seine Handschrift.«
    »Der Objektschutz«, fuhr ich rasch fort, um das heikle Thema nicht zu vertiefen, »hat die Spur des Hackers aufgenommen und ihn getötet, als er fliehen wollte. Worum es aber eigentlich

Weitere Kostenlose Bücher