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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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an der anderen gelangten wir in die Küche. Als Dschingis vor mir herging, wölbten sich unter dem schweißgetränkten Stoff des Trainingsanzugs die Muskeln. Ein Kraftbolzen. Und verglichen mit der am Eingang herrschenden Paranoia völlig arglos. Was, wenn ich jetzt ein Messer herauszöge, um es ihm zwischen die Schulterblätter zu rammen?
    Doch nein. Selbst wenn ich ein Killer wäre, würde ich mich wohl nicht zu einer solchen Tat hinreißen lassen. Einfach, weil ich mich nicht in der Wohnung verlaufen wollte. In dieser Hütte könntest du vermutlich eine Woche lang herumirren, ab und an würdest du auf eine Wasserquelle stoßen – in Form von Bidets und Pissoirs – oder Nahrung entdecken – irgendwelche Skulpturen aus Schokolade unter Glas.
    In der Küche gab es dann tatsächlich eine Schokoladenfigur. Sie war fast einen Meter hoch, fand sich jedoch nicht unter Glas
und stellte einen Mohren mit einem Kakaozweig in der Hand dar. Dem Jungen fehlte bereits ein Ohr, wahrscheinlich hatte da jemand Hunger gehabt.
    Die Küche selbst beruhigte mich irgendwie, denn sie verströmte etwas Vertrautes. Als hätte man eine stinknormale Küche einfach verdoppelt. Gut, der zusätzliche Raum war noch mit schönen Möbeln aus lackiertem Holz gefüllt worden, mit Küchengeräten und vollen Einkaufstüten …
    Trotzdem sah es verdammt nach Junggeselle aus. Anscheinend wohnte Dschingis hier allein.
    »Zur Begrüßung französischen Cognac … das geht nicht«, überlegte Dschingis laut. »Wodka würde uns umhauen.« Er sah mich unverwandt an und nickte schließlich, als sei er zufrieden. »Auf einen Kater können wir jedoch verzichten. Nach Bier steht mir nicht der Sinn … Aber dir vielleicht?«
    Ich sah mich in der Küche um und hielt nach einem Bartresen samt Zapfhähnen Ausschau. Tatsächlich entdeckte ich einen in einer Ecke. Mit Hähnen für Guinness, Kilkenny und noch zwei anderen Marken.
    »Wenn die Alternative Wein oder Whisky ist, dann lieber Bier«, sagte ich mit einer Stimme, die ich selbst nicht wiedererkannte. Eine alte Filmkomödie fiel mir ein, in der ein Junge von heute auf morgen erwachsen und reich wird, sich mitten im Zimmer einen Coca-Cola-Automaten hinstellt, der seine Dosen aber nur ausspuckt, wenn man ordentlich gegen ihn tritt.
    »Dann wäre das geklärt«, sagte Dschingis. Er ging zum Kühlschrank, der genauso monströs war wie alles hier, öffnete ihn, kramte in funkelnden Verpackungen und zog ein paar Päckchen mit winzigen Käsehäppchen heraus. »Willst du auch was essen?«
    »Im Moment nicht.«
    »Sehr schön. Und jetzt steh nicht rum, sondern mach die hier auf. Auf dem Tisch liegt ein Messer.«
    Während ich mit dem abgepackten Käse kämpfte, besorgte Dschingis zwei große Kristallkrüge. »Was willst du?«, erkundigte er sich.
    »Hast du tschechisches Bier?«, fragte ich in der Hoffnung, ihn vor ein unlösbares Problem zu stellen.
    »Nur Pilsner Urquell.«
    »Das geht«, erklärte ich im Ton eines Mannes, der für gewöhnlich sein Fußbad im besten hellen Bier der Welt nimmt.
    Jeder mit einem Bierkrug in der Hand setzten wir uns in Ledersessel, die vor dem Tresen standen.
    »Prost«, sagte ich.
    »Prost«, erwiderte Dschingis.
    Das Bier war hervorragend.
    »Du gefällst mir«, bemerkte Dschingis unvermittelt. Er streckte die Hand aus und schlug mir auf die Schulter. »Die Wohnung erschlägt dich doch nicht, oder?«
    Ich ließ den Blick noch einmal durch die Küche schweifen, entdeckte ein weiteres liebliches Detail, nämlich eine Treppe, die hoch in den zweiten Stock führte, und fragte: »Wo geht’s denn da hin?«
    »Ins Esszimmer. Mit Glasdecke.«
    Um sich in Moskau eine Glasdecke einzuziehen, braucht man erst mal Stahlbeton. »Ich will noch nicht mal darüber mutmaßen, was deine Hütte gekostet hat«, meinte ich. »So ein Stübchen kann sich vermutlich nur ein Millionär leisten.«
    »Leider«, bestätigte er ohne die geringste Effekthascherei. »Aber du fühlst dich trotzdem wohl?«
    »Ich bin geschockt, trage es aber mit Fassung.«
    »Gut. Ich mag es nicht, wenn die Leute wie benommen gaffen. Dann komme ich mir blöd vor – und das mag ich noch viel weniger … Wie geht es Maniac?«
    »Soweit ganz gut. Zumindest wenn er in der Tiefe ist.«
    »Und wo lebt er heute in der realen Welt?«
    »In San Francisco.«
    Dschingis nickte. Er unterzog mich ganz offen einem simplen Test.
    »Was meinst du, welches Bier er gewählt hätte?«
    »Guinness.«
    »Wie viele Menschen haben sich beim ersten Mal

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