Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)
diesem Anschlag hatten alle gehört. Damals war ganz Deeptown in Panik geraten. Die Täter hatten eine logische Bombe der zweiten Generation unter dem Haus deponiert, die sämtliche Server lahmgelegt hat.
»Der Eingang existiert nicht mehr?«
»Richtig. Er wurde nicht wiederhergestellt. Am besten wird es daher sein, du wendest dich an Roman. Ihr seid doch Freunde, oder?«
»Wir waren Freunde«, korrigiere ich ihn automatisch. Aber Dick achtet nicht darauf.
»Er hat einen einfachen Eingang gewählt, irgendwo in seinem Haus. Roman wollte keinem fremden Server vertrauen, er hat alles über seine eigene Kiste laufen lassen.«
Schweigend denke ich darüber nach, ob es möglich ist, die alte Version seines Rechners wiederherzustellen, nachdem Bastard sein Programm installiert hat. Wohl kaum.
»Es ist die reinste Tortur, zu meinem Tempeleingang zu gelangen«, schließt Dick selbstkritisch. »Da würde ich dich nur hinschicken, wenn ich wirklich noch sauer auf dich wäre.«
»In dem Fall wären wir quitt«, erwidere ich. »Romka ist tot, Crazy. Auf seiner Kiste ist alles gelöscht. Das ist auch der Grund, warum ich in den Tempel will. Um mich an seinen Mördern zu rächen.«
Ich hebe den Blick und sehe, wie Dick langsam die Gesichtszüge entgleiten.
»Er ist tot«, wiederhole ich. »Ermordet worden. Er ist in der Tiefe ermordet worden – und in der Realität gestorben. Du weißt, was das heißt?«
Der zuvorkommende und gelassene Sicherheitschef scheint kurz vor einer Ohnmacht zu stehen. Trotzdem spreche ich das aus, was er wahrscheinlich gerade denkt.
»Stell dir einmal vor, dass alle Spieler, die jetzt im Labyrinth sind, neue Waffen haben. Dass sie nach und nach und ohne dass es jemand merkt, an Waffen der dritten Generation herankommen. Und dann anfangen, sich gegenseitig umzubringen. Richtig umzubringen.«
Ich hoffe sehr, dass Crazy Tosser ein starkes Herz hat. Schließlich ist er kein junger Mann mehr. Hier nicht – und im realen Leben auch nicht.
11
Karten gibt es nicht. Daran hat sich nichts geändert. Genauso wenig wie Zugänge fürs Personal. Wer bräuchte die schon noch – jetzt, da die Menschen nicht mehr ertrinken?
»Versuch es!«, sagt Crazy. »Sieh zu, wie du durchkommst.«
»Kannst du mich nicht doch begleiten?«, frage ich.
Der Torbogen aus schwarzem Marmor, der Eingang zum Labyrinth des Todes, ist immerhin noch der alte. Purpurroter Nebel wabert um ihn herum, die Blitze zucken langsam, fast verschlafen, die Menschen ziehen in einem endlosen Strom ins Labyrinth.
Ein Teil von ihnen ist echt, einen anderen Teil packt der Rechner dazu. Um Masse zu bilden.
»Ich bin zu alt für diese Spielchen«, antwortet Crazy.
Wir stehen etwas abseits der Menge. Ich stecke nach wie vor im Körper des Revolvermanns, Crazy ist in einen jüngeren und kräftigeren Avatar geschlüpft.
»Hat sich das Ambiente stark verändert?«
»Nicht nur das Ambiente. Das hier ist die neue Variante des Spiels, die alte wurde auf ein zusätzliches Spielfeld ausgelagert. Auf dem fallen immer noch die Außerirdischen auf der Erde ein.«
»Und worum geht es hier?«
»Hier wird zum Gegenangriff geblasen, indem ein terrestrisches Raumschiff mit Truppen an Bord auf dem Planeten des Feindes landet.«
Oje. Irgendwie hatte ich völlig den Anschluss verpasst.
»Aber die Grundidee ist die gleiche geblieben?«, will ich wissen.
»An der verdammten Grundidee hat sich seit dem Reich des Wolfes nichts geändert. Du musst alles umnieten, was sich bewegt. Und jede Waffe an dich bringen, die dir unter die Finger gerät.«
»Worin besteht dann das Problem?«
Crazy zuckt die Achseln und beobachtet den Strom, der einfach nicht versiegen will. »Du solltest wissen, Leonid … Nein, sieh es dir lieber selbst an. Ich warte in meinem Büro auf dich. Viel Glück!«
Er hat recht. Es bringt nichts, schon jetzt in Panik zu geraten.
»Danke!«, sage ich und klatsche ihm noch die Hand ab, bevor ich mich in die Masse einreihe.
Die verschiedensten Gesichter umgeben mich. Jungen, die noch nicht mal den ersten Bart haben, ältere Männer und grauhaarige Reservisten. Man könnte glauben, die ganze Erde sei zum Kampf gegen die Außerirdischen angetreten. Der alte Militarist Heinlein wäre entzückt von diesem Anblick.
Selbstverständlich sind auch Frauen dabei, wenn auch deutlich weniger.
Sogar ein paar Invaliden auf Krücken oder im Rollstuhl haben sich hergeschleppt.
Kurz und gut, die Political Correctness lässt nichts zu wünschen übrig. Wie
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