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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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müssen.
    Ein kühner Husar aus dem 19. Jahrhundert würde mich jetzt vielleicht verstehen. Es ist eine Sache, einen Feind gefangen zu nehmen, eine andere, ihn zu zerhacken. Ganz zu schweigen davon, ihm das Pferd unterm Hintern abzuknallen. Oder, nein, nennen wir die Dinge bei ihrem stolzen Namen: das Streitross. Das für den Husaren nicht nur ein Fortbewegungsmittel ist, sondern auch ein treuer Freund, ein Gefährte, der ihm mehr als einmal aus der Klemme geholfen hat.
    Egal. Notfalls würde ich auch das Tier töten.
    Phagozyten haben kein Gewissen.
    Ich zog aus Proteus’ Jackentasche den Pager. Maniac war nicht online. Komisch.
    Schurka, es ist sehr wichtig. Etwas, das es gar nicht geben kann, existiert doch. Wir müssen miteinander reden. Dringend! Sag mir, wann und wo!
    Nachdem ich die Mail abgeschickt habe, kann ich nur noch warten … und nach anderen Wegen suchen.
    Welche Hacker kenne ich noch? Vielleicht gibt es ja doch eine Chance, den Brief zu knacken …
    Ich suche im Adressbuch des Pagers nach Bastard, finde ihn aber nicht. Ich hätte nach seiner Adresse fragen müssen. Immerhin erinnere ich mich noch an die Telefonnummer von Dschingis.
    »Telefonat innerhalb von Moskau«, verlange ich. Das grüne Licht am Pager flackert, mein Konto ist also glücklicherweise noch nicht leergeräumt. Ein Anruf aus der virtuellen Welt in die reale ist nicht sehr teuer, leider aber auch nicht umsonst.
    Da ich dem Stimmerkennungsprogramm des Pagers nicht ganz traue, gebe ich die Nummer über die Tastatur ein. Die nächsten ein, zwei Minuten lausche ich auf das monotone Läuten.
    Verdammt noch mal, du läufst doch selbst in der Wohnung mit deinem Handy herum! Also geh schon ran!
    »Ja?«
    Dschingis’ Stimme klingt angespannt und scharf, als würde er einen unangenehmen Anruf erwarten. Er wird seine eigenen Probleme haben. Egal. Denn ich brauche jetzt jemanden, auf den ich einen Teil meiner Probleme abwälzen kann.
    »Ich bin’s, Leonid.«
    »Hallo. Schon wach?«
    Sein Ton ändert sich prompt, gegen ein Gespräch mit mir hat er also nichts einzuwenden.
    »Sagen wir es so: Ich habe gar nicht geschlafen.«
    »Warum nicht?«
    »Diese Geschichte beschäftigt mich. Dschingis, es sind weitere Probleme aufgetaucht.«
    »Verstehe. Komm am besten her.«
    »Okay. Vorher muss ich aber noch was erledigen.«
    »Das kannst du auch von hier aus. Komm also am besten gleich her. Ich bin gerade in Deeptown. Die Adresse ist leicht zu merken: Hackerklause .«
    »Ist Bastard da?«
    »Es sind alle da. Deshalb trifft es sich ja auch so gut, dass du angerufen hast. Also, bis gleich.«
    Es sind alle da? Das sollte wohl heißen, auch Pat.
    Doch noch ehe ich nachhaken kann, hat Dschingis das Gespräch beendet.
    Gut, dann würde ich eben gleich zu ihm fahren.
    Beim Verlassen des Hotels sehe ich mich auch diesmal immer wieder um, doch nichts erregt mein Misstrauen. Deeptown wächst
und gedeiht fröhlich weiter. Über der Stadt hängt ein dunkler Abendhimmel, an dem die ersten Sterne aufgegangen sind, das Resultat einer Umfrage, die ergeben hatte, dass gut siebzig Prozent aller Menschen zum Relaxen einen frühen Sommerabend bevorzugen.
    Ich halte ein Taxi an, nenne die Adresse – und wundere mich überhaupt nicht, als das Auto nach drei Minuten vor einer exakten Kopie von Dschingis’ Haus in Moskau anhält.
    Selbst die Visagen der virtuellen Wachschützer sind denen der realen zum Verwechseln ähnlich.
    Überraschen durfte mich das bei einem Mann, dessen Wohnung aussieht wie der Fiebertraum eines Bewohners von Deeptown, wohl kaum. Nichts liegt näher, als die Wohnung einfach in die virtuelle Welt zu transferieren. Um die Unterschiede zwischen den Welten endgültig auszuradieren. Ich selbst habe früher einmal vergleichbare Experimente veranstaltet … nur sind meine Paläste nie so luxuriös ausgefallen.
    »Ich möchte zu Dschingis«, sage ich dem Security-Typen. Der nimmt mich nicht weiter ins Verhör.
    Wie unproblematisch doch alles ist. Noch. Doch wenn in Deeptown erst mal eine reale Waffe auftaucht, werden die Kontrollen strenger sein als in der realen Welt.
    Nachdem mich der Fahrstuhl nach oben gebracht hat, stehe ich allerdings vor einer verschlossenen Tür. Sogar nach dem Klingeln muss ich noch eine ganze Weile warten.
    Achtung!, warnt mich Vika lautlos. Das System wird gecheckt.
    Na, von mir aus.
    Schließlich öffnet mir Pat die Tür.
    Er sieht etwas zerzauster aus als in der Realität und trägt einen Wireless-Sensoranzug. So was ist mir in

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