Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)
der Tiefe noch nie untergekommen. Warum sollte hier jemand das tragen, was er auch in der echten Welt anhat?
»Hallo«, nuschelt Pat und tritt zur Seite. »Das ging ja schnell.«
Ich trete ein, sehe mich neugierig um und versuche, die Eindrücke abzugleichen. Anscheinend ist auch die Einrichtung eine Kopie … Aber was hatte ich bei Dschingis anderes erwartet? Mit seinem Geld konnte er sich schließlich die besten Raumdesigner Moskaus leisten.
»Hallo, Pat. Wo ist der Herr des Hauses?«
»Herren des Hauses gibt es hier nicht«, antwortet Pat ernst und drückt mir die Hand. »Hier bist du höchstens in einem einzelnen Zimmer Herr dieser vier Wände.«
Mir liegt schon ein Kommentar zu all den Klischees von Kommunen und Hackerfreiheit auf der Zunge, aber ich verkneife mir die Bemerkung. In ein fremdes Kloster schleppst du nicht das eigene Gebetbuch …
»Dann frage ich anders: Wo ist Dschingis?«
»Komm mit.«
Ich folge dem Jungen durch den Flur. Als ich dabei zum Fenster raussehe, erblicke ich Moskau. Das richtige, brodelnde Moskau. Wo Autos fahren, Menschen durch die Straßen gehen und Wolken über den Himmel ziehen. Wo Schneeregen niederfällt.
Ich könnte schwören, dass es sich dabei nicht um einen Film handelt, der in einer Endlosschleife läuft, sondern dass tatsächlich an jedem Fenster des realen Hauses eine Kamera angebracht ist, die ihre Bilder in die Tiefe sendet.
Das ist nicht einfach bloß cool!
Das ist extravagant.
Ein Retriever kommt uns entgegengetrottet und beschnüffelt meine Hand.
»Aus, Byte!«, verlangt Pat, worauf der Hund gehorsam abzieht. Viel zu gehorsam. Bei ihm handelt es sich garantiert um ein Programm. Dabei war ich schon kurz davor zu glauben, sie hätten auch den Hund in einen Sensoranzug gesteckt.
Ich vermute Dschingis in der Küche, bei einem weiteren Besäufnis, doch Pat weist auf die Wendeltreppe und lässt mir den Vortritt, um selbst den Abschluss unserer kleinen Prozession zu bilden.
Ich gelange ins Esszimmer, in dem ich in der realen Welt noch nicht gewesen bin.
Der Raum ist rund, ein Teil der Wände besteht aus Glas. Die Decke hat eine Glaskuppel, der Boden ist mit einem dicken Teppich ausgelegt. Die Einrichtung ist mehr als spartanisch, es gibt keine Möbel, noch nicht mal einen Tisch mit Stühlen!
Dafür stehen auf dem Boden einige Fässer Bier, um die herum Dschingis, Bastard und auch Maniac im Schneidersitz Platz genommen haben.
»Ah«, ruft Bastard aus und streicht sich mit der Hand über die Glatze. »Da kommt ja auch unser Diver!«
Ich begrüße ihn und Dschingis und umarme Maniac. »Hast du meine Nachricht bekommen, Schurka?«, frage ich.
Daraufhin holt er seinen Pager heraus, wirft einen Blick aufs Display und reibt sich die Nasenwurzel. »Wie ich gerade sehe … ja.«
Wenn er selbst unabhängig von meiner Mail hier aufgetaucht ist, soll’s mir auch recht sein. Hauptsache, wir sind jetzt alle da.
»Fühl dich ganz wie zu Hause«, sagt Dschingis freundlich. »Pat, hol uns mal ein paar Chips!«
»Warum immer …«, setzt Pat an, verstummt aber sofort, als er Dschingis’ Blick auffängt, und geht nach unten.
Ich nehme auf dem Boden Platz und kriege ein Bier, ein Baltika Nr. 7. Wahrscheinlich ist das ein Kompromiss, auf den sich Bastard und die anderen geeinigt haben.
»Wir haben versucht, abschließend zu klären, ob eine Waffe der dritten Generation existiert«, informiert mich Dschingis. »Und dabei … haben wir einiges ausgegraben. Gibst du Ljonka noch mal eine Kurzfassung, Schurka?«
Maniac nickt. Er sieht irgendwie verstört aus. »Als Erstes habe ich bei uns nachgeforscht«, fängt er an. »Übrigens habe ich gerade ein paar Tage Urlaub.«
Ach ja? Und willst du die auch außerhalb der Tiefe verbringen? Genau wie Crazy Tosser?
»Ich will diese Erkundigungen nicht über die Rechner auf der Arbeit einholen«, fährt Maniac fort. »Da wird nämlich alles kontrolliert. Ich bin jetzt über einen illegalen Zugang in die Tiefe gekommen. Also … ich habe mich mal umgehört. Seit fast zwei Jahren wird an einer Waffe der dritten Generation gearbeitet. Das Projekt leitet …« Hier legt er eine Pause ein, doch ich meine, die Fortsetzung schon zu kennen. »… Dmitri Dibenko persönlich.«
»Scheiße«, bringe ich bloß heraus. »Scheiße, scheiße, scheiße …«
»Das reicht!«, brummt Bastard und gießt sich noch Bier ein. »Was wunderst du dich eigentlich? Wer hätte denn sonst dahinterstecken sollen?«
Das stimmt natürlich. Eine Waffe, die
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