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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Dschingis klinkt sich immer weiter aus und grübelt, entweder über das, was er gerade eben gehört hat, oder über etwas ganz anderes.
    »Leonid! Durch das Labyrinth zu gehen – das ist, als ob du mit dem Kopf durch die Wand willst«, macht mir Maniac unmissverständlich klar, als ich fertig bin. »Vielleicht kracht die Wand ja früher oder später tatsächlich ein. Aber vermutlich geht doch eher dein Kopf kaputt.«
    »Das kann schon sein«, erwidere ich. »Aber hast du einen anderen Vorschlag?«
    »Wir könnten die Daten klauen.«
    »Und wie? Klar, es ist nicht schwer, Ilja mit irgendeinem Angriffsprogramm auszuschalten und den Umschlag an uns zu bringen. Aber dann zerstört er sich selbst.«
    »Das lässt sich einfach vermeiden.« Maniac grinst nur. »Ich weiß nämlich, wie die Identifikationsprogramme aufgebaut sind.«
    »Und wie sollen wir die Dateien öffnen?«
    »Wie viel Byte hat das Passwort?«
    »4096.«
    »Verstehe. Damit scheidet die Variante aus.«
    »Sicher?«, fragt Dschingis nach. »Du bist schließlich nicht auf Dechiffrierungen spezialisiert.«
    »Gibt es inzwischen etwa neue Methoden der Primfaktorzerlegung? «, fragt Maniac unerschüttert zurück. »Dschingis, mein Guter, du erstaunst mich.«
    »Okay, du hast mich überzeugt«, gibt sich Dschingis geschlagen. »Aber vielleicht können wir noch jemanden anderen um Rat fragen?«
    »Wie wär’s mit Zuko?«, schlägt Schurka vor. »Niemand knackt so gern Passwörter wie er. Allerdings kann ich euch auch schon jetzt sagen, was er antworten wird: Gebt mir sämtliche Netzressourcen und ein paar Jahre.«
    »Dann müssen wir eben doch durchs Labyrinth!«, frohlockt Pat.
    »Vielleicht gibt es noch eine andere Möglichkeit«, sage ich. Hoffnungsvolle Blicke richten sich auf mich. »Was wäre, wenn wir einen Pseudo-Tempel bauen? Damit der Brief dort zugestellt wird und …«
    »Und?«, unterbricht mich Maniac amüsiert. »Um den Code zu dechiffrieren, brauchen wir das Original-Programm. Also den Tempel, falls das verständlicher ist. Sicher, der erste Teil der Operation würde tadellos ablaufen. Der Brief käme an die Adresse, und wir hätten die Dateien. Nur könnten wir sie eben immer noch nicht öffnen.«
    »Dann bleibt also nur das Labyrinth«, halte ich fest.
    »Durchaus nicht«, wiederspricht Dschingis. »Es gibt noch eine weitere Option. Wir könnten uns die ganze Sache aus dem Kopf schlagen. Und die Tiefe verlassen.«
    Ich habe lange darauf gewartet, dass jemand diesen Vorschlag macht.
    Denn ich wollte ihn auf gar keinen Fall vorbringen.

101
    »Gut«, sagt Maniac, der jetzt am Fenster steht, »dann lautet die Frage: Was wollen wir von der Tiefe ? Was ist für uns das Wichtigste in Deeptown?«
    Bis auf Pat hat es niemanden mehr am Boden gehalten. Mit unseren Bierkrügen in der Hand stehen wir am Fenster und betrachten aus der Tiefe , aus der virtuellen Welt heraus, das echte Moskau. Wir diskutieren, tauschen so lebhaft und ungezwungen unsere Ansichten aus, als bestünde überhaupt keine Gefahr für die Tiefe .
    Pat dagegen liegt noch auf dem Boden und strampelt mit den Beinen. Entweder zieht er eine Show ab, oder das zweite Bier ist zu viel für ihn gewesen. Wahrscheinlich Letzteres. Bastard hustet und kratzt sich immer wieder die Glatze. Schon komisch. Warum hat er sich kurz vorm Winter eine solche Frisur verpassen lassen?
    Dschingis und Maniac sind die verschlossensten von uns. Sowohl im Verhalten wie auch in ihren Äußerungen.
    »Das Wichtigste in der Tiefe ist der direkte Kontakt zu anderen«, sagt Dschingis endlich. »Und die Abenteuer. Jedenfalls im Großen und Ganzen. Alles andere können auch Mails leisten.«
    »Wir könnten uns innerhalb der Tiefe abkapseln«, bemerkt Maniac.
    Der Gedanke liegt auf der Hand, schließlich hatte ich diese Möglichkeit auch schon erwogen.
    »Stimmt«, gibt ihm Dschingis recht. »Das wäre kein Problem.«
    »Wir würden einfach unsere Teile des virtuellen Raums zusammenführen«, fährt Maniac fort. »Ihr drei, ich, Leonid, Zuko … und vielleicht noch zwei Dutzend Leute, denen wir vertrauen, die nie mit einer echten Waffe in die Tiefe gehen würden. Dann sorgen wir selbst für die Ausstattung, die wir brauchen, bauen Häuser und Restaurants, legen einen Strand an … und richten Bordells ein. Den restlichen Teil von Deeptown betreten wir nur im Notfall und dann über einen kontrollierten Zugang.«
    »Trotzdem wäre das letztlich eine Sackgasse«, urteilt Dschingis, und ich nicke, denn ich sehe das genauso.

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