Der Fangschuss
schliefen, drang vielstimmiges Schnarchen. Sophie saß an dem großen weißen Holztisch in der Küche. Sie schaukelte langsam auf einem wackeligen Stuhl hin und her, so daß dessen Lehne mit dem Fußboden einen beängstigend schrägen Winkel bildete. Ihre ausgestreckten Beine in karamelfarbenen Seidenstrümpfen gehörten eher einem jungen Gott als einer jungen Göttin. Eine fast leere Kognakflasche schwankte am Ende ihres linken Armes gefährlich hin und her. Sie war unsagbar betrunken, und ihr Gesicht zeigte im Widerschein des Herdes lauter rote Flecken. Ich legte ihr die Hand auf die Schulter, ohne daß meine Berührung in ihr, wie sonst, jenes schreckliche und hinreißende Erzittern eines verwundeten Vogels auslöste; der Kognakrausch machte sie unverwundbar. Sie drehte sich mit leerem Blick nach mir um und sagte mit einer Stimme, die ebenso verschleiert war wie ihre Augen:
»Geh, Erich, und sag Texas guten Abend. Er liegt in der Speisekammer.«
Ich knipste mein Feuerzeug an und begab mich zu jenem Verschlag, wo man über zusammenstürzende Haufen keimender Kartoffeln stolperte. Das armselige Hündchen lag ausgestreckt unter dem Verdeck eines alten Kinderwagens. Später erfuhr ich, daß er von einem im Park explodierten Blindgänger getötet worden war, den er mit seiner kleinen schwarzen Schnauze wie eine Trüffel hatte ausgraben wollen. Sein zerfetzter Leichnam erinnerte mich an einen unter die Straßenbahn geratenen Mops. Ich hob das abstoßende Paket vorsichtig auf, nahm eine Hacke und ging in den Hof, um ein Loch zu graben. Der Boden war durch den Regen oberflächlich aufgetaut. Ich begrub Texas in diesem Schlamm, in dem er sich, als er noch lebte, mit so sichtlichem Vergnügen zu wälzen pflegte. Als ich in die Küche zurückkam, hatte Sophie gerade den letzten Tropfen Kognak ausgetrunken. Sie warf die Flasche in die glimmende Herdasche, wo das Glas mit dumpfem Klirren zerbrach. Dann erhob sie sich schwerfällig und sagte, während sie sich auf meine Schulter stützte, mit verschlafener Stimme:
»Der arme Texas … Schade um ihn. Er war der einzige, der mich liebte …«
Ihr Atem roch nach Alkohol. Auf der Treppe versagten ihr die Beine. Ich griff ihr unter die Arme und steuerte sie nach oben, während sie sich mehrmals erbrach. Ich hatte das Gefühl, eine seekranke Reisende in ihre Kabine zu geleiten. In ihrem kleinen unordentlichen Zimmer ließ sie sich in einen Sessel fallen, während ich ihr Bett zurechtmachte. Ihre Hände und Beine waren eiskalt. Ich häufte alle vorhandenen Decken und einen Mantel auf sie. Auf ihren Ellbogen gestützt, erbrach sie sich weiter, ohne es zu merken. Ihr Mund blieb offen wie der Mund einer Brunnenfigur. Endlich streckte sie sich in der Höhlung des Bettes aus: matt, platt und feucht wie eine Leiche. Ihre Haare klebten an ihren Wangen und zogen sich wie blonde Narben über ihr Gesicht. Ihr Puls unter meinen Fingern schlug sinnlos rasch und zugleich fast unmerklich. Sie mußte wohl zutiefst in ihrem Innern das klare Bewußtsein ihrer Trunkenheit und eine schwindelerregende Angst haben; denn sie erzählte mir später, daß sie die ganze Nacht hindurch in einem russischen Schlitten zu fahren und die Stöße, die Kälte, das Pfeifen des Windes, das Pochen der Adern zu empfinden glaubte, während sie regungslos einem Abgrund entgegenraste, vor dem sie sich nicht einmal mehr fürchtete. Ich kenne jenes Gefühl tödlicher Schnelligkeit; es ist die Wirkung des Alkohols auf ein versagendes Herz. Sophie hat immer geglaubt, jene an ihrem unsauberen Bett verbrachte Samariternacht sei für mich eine der empörendsten Erinnerungen meines Lebens geblieben. Ich hätte ihr nie erklären können, daß jene Blässe, jene Flecken, jene Gefahr und Hingabe, vollkommener als in der Liebe, schön und rührend waren und daß jener reglose ausgestreckte Körper mich an gewisse Kameraden, die ich in dem gleichen Zustand gepflegt hatte, und an Konrad selbst erinnerte … Ich vergaß zu erwähnen, daß ich, als ich sie von ihren Kleidern befreite, neben ihrer linken Brust die lange Narbe eines Messerstichs bemerkte, der ziemlich tief ins Fleisch gedrungen sein mußte. Später gestand sie mir, daß sie einen ungeschickten Selbstmordversuch gemacht habe. War das zu meiner Zeit gewesen oder zur Zeit des litauischen Satyrs? Ich habe es nie erfahren können.
Der Sergeant Chopin hatte sich nicht getäuscht. Sophie war nach jenem Zwischenfall verwirrt wie eine Internatsschülerin, die auf einer
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