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Der Fangschuss

Der Fangschuss

Titel: Der Fangschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marguerite Yourcenar
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Hochzeit zuviel Champagner getrunken hat. Ein paar Tage lang genoß ich den Umgang mit einer wehmütig nachdenklichen Freundin, die mir mit jedem Blick zu danken oder mich um Verzeihung zu bitten schien. Wir hatten ein paar Typhusfälle in den Baracken. Sie wollte sie unbedingt pflegen. Weder ich noch Konrad konnten sie davon abbringen. Schließlich ließ ich dieser Wahnsinnigen, die anscheinend entschlossen war, vor meinen Augen zu sterben, ihren Willen. Noch keine Woche darauf legte sie sich ins Bett; wir glaubten, sie habe sich angesteckt. Sie war aber nur erschöpft und entmutigt durch eine Liebe, die ständig andere Formen annahm, wie eine nervöse Erkrankung jeden Tag neue Symptome zeigt. Sie litt gleichzeitig an Liebesmangel wie an Liebesüberschwang. Jetzt war die Reihe an mir, jeden Morgen bei Sonnenaufgang in ihr Zimmer zu treten. Ganz Kratovice hielt uns für Verliebte, was ihr, wie ich vermute, schmeichelte und mir selber nicht unwillkommen war. Ich erkundigte mich mit der teilnahmsvollen Besorgnis eines Hausarztes nach ihrem Befinden, setzte mich zu ihr ans Bett und war von einer lächerlichen Brüderlichkeit. Hätte ich Sophie durch meine Zärtlichkeit noch tiefer verwunden wollen, so hätte der Erfolg nicht größer sein können. Mit hochgezogenen Knien unter der Decke, das Kinn in die Hände gestützt, sah sie mich mit riesengroßen, erstaunten und ständig tränennassen Augen an. Die Zeiten, da Sophie jene Rücksicht, jene Zärtlichkeit, jene Liebkosungen einer über ihr Haar hinstreichelnden Hand mit gutem Gewissen genossen hätte, waren dahin. Die Erinnerungen an die Liebesabenteuer der letzten Monate erweckten in ihr das unwiderstehliche Verlangen aller unglücklichen Menschen, die sich nicht mehr ertragen können: vor sich selber zu fliehen – einerlei, wohin. Sie versuchte, wie eine Sterbenskranke ihr Bett zu verlassen. Ich zwang sie, sich wieder hinzulegen, und stopfte sie fest mit jenen zerknitterten Bettüchern, in denen sie sich, sobald ich fort war, verzweifelt umherwälzte. Wenn ich achselzuckend erklärte, daß jene körperlichen Spielereien völlig bedeutungslos seien, so brachte ich unter dem Vorwand, ihr Gewissen zu beruhigen, ihrer Eitelkeit die grausamste Wunde bei und verletzte in ihr zugleich ein noch tieferes, noch wesentlicheres Gefühl: jene heimliche Ehrfurcht, die ein Körper vor sich selbst empfindet. In Zusammenhang mit jener neuen Milde erschienen meine Härten, meine Weigerungen und selbst mein Lächeln ihr jetzt als eine Probe, deren Bedeutung sie nicht begriffen und die sie nicht verstanden hatte. Wie ein erschöpfter Schwimmer sah sie sich, zwei Armlängen vom Ufer entfernt, in dem Augenblick untersinken, da ich vielleicht begonnen hätte, sie zu lieben. Hätte ich sie jetzt genommen, so würde sie in der Erinnerung daran, daß sie vorher nicht den Mut gehabt hatte, auf mich zu warten, vor Entsetzen geweint haben. Sie litt sämtliche Qualen einer Ehebrecherin, die man durch Güte bestraft, und diese Verzweiflung wurde noch qualvoller, wenn Sophie in den seltenen Augenblicken klarer Bewußtheit sich selber sagte, daß sie schließlich keinerlei Grund habe, ihren Körper für mich zu bewahren. Trotzdem fesselten Zorn, Widerwillen, Mitleid, Ironie, ein vages Bedauern auf meiner Seite und ein beginnender Haß auf ihrer Seite uns in all ihrer Widersprüchlichkeit wie zwei Liebende oder zwei Tänzer aneinander. Jenes so ersehnte Band bestand wirklich zwischen uns, und meine Sophie hat sicherlich am meisten darunter gelitten, daß sie es zugleich als so erdrückend und so ungreifbar empfand.

    Eines Nachts (denn meine Erinnerungen an Sophie sind fast alle nächtlich, ausgenommen die letzte, die die blasse Farbe der Morgenfrühe hat) – eines Nachts also, während eines Luftangriffs bemerkte ich, daß sich auf Sophies Balkon ein erleuchtetes Viereck gegen die Dunkelheit abzeichnete. Diese Art des Angriffs war bisher in unserem Sumpfvogelkrieg selten gewesen; es war das erste Mal, daß der Tod in Kratovice vom Himmel fiel. Es war unverzeihlich, daß Sophie die Gefahr nicht nur auf sich selber, sondern auch auf die Ihrigen und uns alle herabbeschwor. Sie wohnte im rechten Flügel des zweiten Stocks; ihre Tür war geschlossen, aber nicht verriegelt. Sie saß am Tisch im Lichtschein einer großen Petroleumlampe. Die offene Fenstertür umrahmte die helle Landschaft einer eisigen Nacht. Meine Anstrengungen, die durch die letzten Herbstregenfälle gequollenen Fensterläden zu

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