Der Fangschuss
falsch war; nach kaum vierzehn Tagen galten die beiden für verlobt. Ich hatte, ohne zu leiden, die Abenteuer einer halb schlafwandelnden Sophie mit verschiedenen Burschen ertragen, die ihr lediglich und nur sehr unvollkommen gewisse Augenblicke des Vergessens verschafften. Ihr Verhältnis mit Volkmar beunruhigte mich, weil sie es vor mir verbarg. Sie heuchelte nicht, sondern verweigerte mir einfach das Recht, an ihrem Leben teilzunehmen. Dabei war ich ihr gegenüber jetzt zweifellos weniger schuldig, als ich es zu Beginn unserer Freundschaft gewesen war; aber man wird stets zur Unzeit bestraft. Trotzdem war Sophie so großmütig, mich auch weiterhin mit liebevoller Rücksicht zu behandeln – vielleicht auch deshalb, weil sie begann, sich ihr Urteil über mich zu bilden. Ich täuschte mich offenbar ebensosehr über das Ende wie seinerzeit über den Anfang dieser Liebe. Bisweilen glaube ich auch heute noch, daß sie mich bis zu ihrem letzten Atemzug geliebt hat. Aber ich mißtraue einer Ansicht, die so eindeutig meiner Eigenliebe schmeichelt. Sophie war im Grunde seelisch gesund genug, um sich von jeder erotischen Niederlage zu erholen. Gelegentlich stelle ich sie mir vor als Volkmars Gattin und Herrin des Hauses, umringt von Kindern und die behäbigen Formen einer Vierzigjährigen in ein rosiges Gummikorsett gepreßt. Die Tatsache, daß meine Sophie in der düstern Atmosphäre, die nun einmal zu unserer Liebe gehörte, gestorben ist, behindert jedoch diese Vision. In diesem Sinne habe ich den Eindruck, daß ich, wie man damals zu sagen pflegte, den Krieg gewonnen habe. Oder sagen wir einfach und weniger brutal, daß meine Folgerungen richtiger waren als Volkmars Berechnungen und daß in der Tat zwischen Sophie und mir eine Art Wahlverwandtschaft bestanden hat. In jener Weihnachtswoche aber hatte Volkmar alle Chancen für sich.
Hin und wieder klopfte ich noch nachts an Sophies Tür, um mich durch die Feststellung, daß sie nicht allein war, vor mir selbst zu erniedrigen. Früher, nämlich noch vor einem Monat, hätte unter den gleichen Umständen Sophies gekünsteltes und herausforderndes Lachen mich fast genauso beruhigt, wie es ihre Tränen getan hätten. Aber man öffnete die Tür. Die eisige Förmlichkeit der Szene bildete einen peinlichen Gegensatz zu der früheren Unordnung, den herumliegenden Wäschestücken und Likörflaschen; und Volkmar bot mir mit einer steifen Geste sein Zigarettenetui an. Was ich am wenigsten vertrage, ist geschont zu werden. Ich machte kehrt und malte mir das Geflüster und die fade Küsserei aus, die hinter meinem Rücken aufs neue begann. Sie sprachen auch von mir; davon war ich fest überzeugt. Es bestand zwischen Volkmar und mir ein so inniger Haß, daß ich mich manchmal frage, ob er seine Augen damals nicht nur deshalb auf Sophie geworfen hat, weil ganz Kratovice uns stets zusammen nannte. Ich muß an jener Frau wohl doch leidenschaftlicher gehangen haben, als ich selber wußte; sonst würde es mir nicht so schwerfallen, zuzugeben, daß jener Dummkopf sie geliebt hat.
Ich habe nie wieder einen so heiteren Weihnachtsabend erlebt wie damals im Kratovice jenes Kriegswinters. Da Konrads und Sophies lächerliche Festvorbereitungen mich ärgerten, hatte ich mich zurückgezogen mit der Begründung, ich müsse einen Bericht abfassen. Gegen Mitternacht lockten die Neugier, der Hunger, das laute Lachen und die etwas heisere Musik einer meiner Lieblingsplatten mich in den Salon, wo sich die tanzenden Paare im Licht des Kaminfeuers und zweier Dutzend mehr oder minder beschädigter Lampen im Kreise drehten. Wieder einmal hatte ich den Eindruck, von der Fröhlichkeit der anderen ausgeschlossen zu sein – und zwar freiwillig, was die Bitterkeit der Tatsache nicht verminderte. Ein Abendessen aus Schinken, Kartoffeln und Whisky war auf einer der reichvergoldeten Konsolen vorbereitet worden. Sophie hatte selber das Brot gebacken. Die mächtigen Schultern des Arztes Paul Rugen verdeckten mir das halbe Zimmer. Der riesige Mann hielt einen Teller auf den Knien und verschlang gierig seinen Anteil am Festessen, da er es wie immer eilig hatte, zu seinem Krankenhaus zurückzukehren, das man in der alten Wagenhalle des Prinzen Peter eingerichtet hatte. Ich würde Sophie verziehen haben, wenn sie ihm und nicht Volkmar zugelächelt hätte. Chopin, der eine Vorliebe für einsame Gesellschaftsspiele hatte, mühte sich ab, in einer Flasche ein Schiff aus abgebrannten Streichhölzern zu konstruieren. Konrad
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