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Der Fangschuss

Der Fangschuss

Titel: Der Fangschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marguerite Yourcenar
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Spielzeug lag auf dem Boden. Ich bückte mich und steckte es mit einer mechanischen Bewegung in die Tasche. Ich habe nie mehr Gelegenheit gehabt, es Sophie zurückzugeben. Als ich später mal in der Klemme saß, habe ich oft daran gedacht, es zu verkaufen, aber die Perlen waren matt geworden, und kein Juwelier hätte sie mir abgenommen. Ich besitze sie immer noch, oder vielmehr ich besaß sie – versteckt in einem kleinen Koffer, der mir dieses Jahr in Spanien gestohlen wurde. In jener Nacht bin ich zwischen meinem Fenster und meinem Schrank mit der gleichen Unermüdlichkeit hin und her gewandert wie Tante Praskovia. Meine Füße waren nackt, so daß meine Schritte Konrad, der hinter seinem Vorhang schlief, nicht wecken konnten. Wohl zehnmal faßte ich den Entschluß, Sophie in ihrem Zimmer aufzusuchen, während ich in der Dunkelheit nach meinen Schuhen und meiner Jacke tastete. Sicherlich hätte ich sie diesmal allein vorgefunden. Aber da ich das alberne Bedürfnis nach Sauberkeit eines kaum erwachsenen Gemüts hatte, legte ich mir wieder die Frage vor, ob ich diese Frau liebte. Sicherlich fehlte es meiner Leidenschaft bisher an jenem Beweis, durch den auch die weniger Groben unter uns sich ihre Liebe zu bestätigen pflegen; und der Himmel weiß, wie sehr ich Sophie meine eigene Unentschiedenheit vorwarf. Es war nun einmal das Pech dieses allen Männern ausgelieferten Mädchens, daß man sich mit ihr nur für das ganze Leben verbinden konnte. In einer Zeit, da alles wankte, sagte ich mir, daß wenigstens diese Frau fest sein würde wie die Erde, auf der man bauen oder sich niederlegen kann. Es wäre schön gewesen, mit ihr zusammen wie ein paar einsame Schiffbrüchige die Welt neu zu beginnen. Es war mir klar, daß ich bisher ein höchst problematisches Leben geführt hatte, das sich früher oder später als unhaltbar erweisen mußte. Konrad würde älter werden, genau wie ich selber; und der Krieg würde nicht immer alles entschuldigen können. Während ich vor dem Spiegelschrank stand, trug meine nicht ganz unbegründete Ablehnung über die nicht ganz uneigennützige Zustimmung den Sieg davon. Ich fragte mich mit gespielter Kaltblütigkeit, was ich mit dieser Frau anfangen wolle; zweifellos war ich nicht darauf vorbereitet, Konrad als meinen Schwager zu betrachten. Man läßt einen hinreißenden jungen Freund von zwanzig Jahren nicht wegen eines zweifelhaften Verhältnisses mit dessen eigener Schwester fallen. Dann fand ich wiederum, als habe mich mein Hin und Her in dem Zimmer zum entgegengesetzten Ufer zurückgetrieben, zu der anderen Seite meines Wesens zurück, die sich kaltschnäuzig über meine persönlichen Schwierigkeiten hinwegsetzte und zweifellos Zug für Zug genau all jenen Männern glich, die sich vor mir nach einer Verlobten umgesehen hatten. Diesem Jungen in mir, der unkomplizierter war als ich selbst, klopfte das Herz wie jedem jungen Mann, der sich an die weiße Brust einer Frau erinnert.
      Ein wenig vor Sonnenaufgang, falls die Sonne an solchen grauen Tagen überhaupt aufging, hörte ich das leichte, geisterhafte Geräusch eines im zugigen Korridor raschelnden Kleides sowie ein leises Kratzen wie das eines Einlaß begehrenden Hündchens an der Tür und den keuchenden Atem einer von ihrem Schicksal gehetzten Frau. Sophie sprach flüsternd, den Mund dicht am Eichenholz der Tür. Die vier oder fünf ihr vertrauten Sprachen, darunter das Russische und das Französische, halfen ihr hinweg über jene ungeschickten Worte, die in allen Ländern der Welt die verbrauchtesten und zugleich auch die lautersten sind.
      »Erich«, sagte sie schließlich, »Erich, mein einziger Freund, vergeben Sie mir. Ich flehe Sie an …«
      »Liebste Sophie, ich packe gerade meine Sachen, ich geh' fort. Seien Sie doch morgen früh beim Abschied in der Küche. Ich muß mit Ihnen sprechen … Verzeihen Sie mir.«
    »Erich, ich bin es, die um Verzeihung bittet …«
    Wenn jemand behauptet, er könne sich Wort für Wort an eine Unterhaltung erinnern, so halte ich ihn seit jeher für einen Lügner oder für einen Phantasten. Ich selber behalte stets nur Brocken – einen Text, der so durchlöchert ist wie ein von Würmern zerfressenes Pergament. Meine eigenen Worte höre ich nicht, nicht einmal in dem Augenblick, da ich sie ausspreche. Die Worte des anderen vergesse ich wieder; und war es eine Frau, so erinnere ich mich allenfalls an die Bewegungen ihrer Lippen, wenn sie meinem Munde nahe waren. Alles Weitere ist

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