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Der Fangschuss

Der Fangschuss

Titel: Der Fangschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marguerite Yourcenar
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das zweifellos daran, daß ich den Vorzug genoß, mit im wesentlichen lauteren Naturen zusammenzuleben. Menschen wie Konrad sind anfällig und fühlen sich nie wohler als im Schutze einer Rüstung. Sind sie der Welt, den Frauen, den Geschäften, den leichten Erfolgen ausgeliefert, so erinnert ihr heimlicher Verfall unwillkürlich an das abstoßende Verwelken der dunklen Schwertlilien, deren klebrige Agonie sich so peinlich von dem heroischen Vertrocknen der Rosen unterscheidet. Ich habe ungefähr alle niedrigen Empfindungen gekannt, jede einzelne mindestens einmal in meinem Leben; auch das Gefühl der Furcht ist mir nicht fremd geblieben. Konrad hingegen hat solche Empfindungen nie gekannt. Es gibt nun einmal solche Wesen – und oft sind es die allerverletzlichsten –, die sich in der Luft des Todes so wohl fühlen wie im embryonalen Zustand. Man redet häufig davon, daß Schwindsüchtige, die früh sterben müssen, in der Gnade dieser Sorglosigkeit leben, aber ich habe auch manchmal bei jungen Leuten, denen ein gewaltsamer Tod bevorstand, jene Leichtigkeit bemerkt, die zugleich ihre Tugend und ihr göttliches Vorrecht war.

    Am dreißigsten April, einem warmen sonnigen Tage, verließen wir wehmütig unser Kratovice, das nicht länger zu halten war. Sein verwüsteter Park ist heute ein Sportgelände für junge kommunistische Arbeiter, und aus seinem Forst sind die letzten Auerochsen, die sich dort bis in die ersten Kriegsjahre noch gehalten hatten, seit langem verschwunden. Tante Praskovia, die sich geweigert hatte, das Schloß zu verlassen, blieb mit ihrer alten Dienerin dort. Später erfuhr ich, daß sie alle Schrecknisse überstanden hat. Jeder Rückweg war jetzt für uns gesperrt; ich hoffte aber, im Südwesten des Landes Fühlung mit den antibolschewistischen Streitkräften aufzunehmen, und konnte in der Tat fünf Wochen später zur polnischen Armee stoßen, die damals noch in vollem Vormarsch begriffen war. Ich rechnete bei diesem verzweifelten Durchbruch mit einem Aufstand der dortigen von Hungersnot bedrohten Bauern, und ich irrte mich nicht. Aber diese unglücklichen Menschen waren nicht in der Lage, uns zu verpflegen; und ehe wir in Vitna ankamen, hatten Typhus und Hunger die meisten von ihnen weggerafft. Ich habe vorhin gesagt, daß das Kratovice der ersten Kriegsjahre für mich nicht meine Jugend, sondern Konrad bedeutete. Diese Mischung von Elend und Größe, von Gewaltmärschen und von in überschwemmte Felder getauchten Weidenzweigen, von Gewehrfeuer und plötzlicher Stille, von dem Knurren des leeren Magens und dem Flimmern der Sterne in den bleichen Nächten, wie ich es in solcher Pracht nie wieder erlebt habe – vielleicht war all das auch Konrad und nicht der Krieg, nicht das Abenteuer um einer verlorenen Sache willen. Wenn ich an die letzten Lebenstage meines Freundes denke, fällt mir jedesmal ein wenig bekanntes Bild von Rembrandt ein, das ich durch Zufall an einem trüben und schneegrauen Morgen Jahre später in New York in der Galerie Frick entdeckt habe. Es machte auf mich den Eindruck eines numerierten und im Katalog verzeichneten Gespenstes. Dieser auf einem fahlen Pferd sich hochreckende junge Mann, dieses zarte und zugleich wilde Gesicht, diese öde Landschaft mit dem Tier, das ein Unheil zu wittern scheint …, hier waren Tod und Teufel viel gegenwärtiger als auf der alten deutschen Radierung, denn um sie ganz nahe zu fühlen, braucht man nicht einmal ihr Symbol.
    In der Mandschurei waren meine Leistungen mittelmäßig, und in Spanien schmeichle ich mir, die denkbar unbedeutendste Rolle gespielt zu haben. Erst auf jenem Rückzug und angesichts einer Handvoll Männer, mit denen ich als Mann ein Bündnis eingegangen war, habe ich gezeigt, was ich als Vorgesetzter leisten konnte. Verglichen mit jenen Slawen, die sich bei voller Lebenskraft vom Unglück verschlingen ließen, vertrat ich den esprit de géométrie , die Generalstabskarte, die Disziplin. Bei dem Dorf Novogrodno wurden wir von einem Trupp Kosaken überfallen. Konrad, Chopin, etwa fünfzig Leute und ich hatten uns in dem Kirchhof verschanzt; das Gros der Truppe befand sich im Dorf, und zwischen uns lag ein breites Hügelgelände. Gegen Abend verschwanden die letzten feindlichen Reiter in den Roggenfeldern, aber Konrad hatte einen Bauchschuß erhalten und lag im Sterben.

    Ich fürchtete, daß er angesichts der letzten Viertelstunde, die länger als sein ganzes Leben dauern würde, den Mut verlieren würde, den andere, die ihr

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