Der Fangschuss
zwischen diesen beiden Frauen eine Verbindung bestehen.
Unter dem Vorwand, Lebensmittel zu beschaffen, fuhr ich mit ein paar Leuten in meinem alten gepanzerten Lastauto nach Lilienkron. Das ächzende Vehikel hielt vor dem halb ländlichen, halb städtischen Haus der Mutter Loew, die gerade ihre Wäsche in der Februarsonne zum Trocknen in ihrem Garten und im Garten ihrer evakuierten Nachbarn ausbreitete. Über ihrem schwarzen Kleid und ihrer weißen Leinenschürze erkannte ich Sophies kurze zerrissene Pelzjacke wieder, aus der die dicke alte Frau aufs lächerlichste herausquoll. Bei der Hausdurchsuchung fand ich nichts weiter als die erwartete Anzahl von Emailschüsseln, Nähmaschinen, antiseptischen Mitteln und einen Haufen zwei Jahre alter Berliner Modejournale. Während meine Leute in den Schränken herumstöberten, die voll waren von all dem Plunder, mit dem arme Bäuerinnen die Hebamme bezahlt hatten, ließ die Mutter Loew mich auf dem roten Sofa des Eßzimmers Platz nehmen. Obwohl sie sich weigerte, mir zu erklären, wie sie in den Besitz von Sophies Pelzjacke gelangt war, bestand sie doch mit einer Mischung aus abstoßender Unterwürfigkeit und alttestamentarischer Gastfreundschaft darauf, ich solle wenigstens ein Glas Tee zu mir nehmen. Ihr höflicher Übereifer kam mir verdächtig vor; und ich kam gerade noch rechtzeitig in die Küche, um zu verhindern, daß die Flamme des Samowars etwa ein Dutzend Briefe des lieben Grigori verzehrte. Aus mütterlichem Aberglauben hatte sie diese gefährlichen Papiere aufbewahrt; aber da der letzte dieser Briefe schon vor mehr als vierzehn Tagen eingetroffen war, konnte ich aus ihnen nichts von dem erfahren, was mich interessierte. Da man wußte, daß die alte Jüdin mit den Roten in Verbindung stand, wäre sie früher oder später auch dann erschossen worden, wenn diese halbverbrannten Papierfetzen nichts weiter enthalten hätten als gleichgültige Zeugnisse von der Anhänglichkeit des Sohnes an die Mutter, hinter denen sich aber möglicherweise Mitteilungen in Schlüsselschrift verbargen. Die Beweise waren ausreichend genug, um selbst in den Augen der betroffenen Frau Loew eine Verhaftung zu rechtfertigen. Als wir wieder auf dem roten Ripssofa Platz genommen hatten, entschloß sich die alte Frau, einen Mittelweg zwischen Schweigen und Geständnis einzuschlagen. Sie gab zu, daß die völlig erschöpfte Sophie sich am Donnerstagabend bei ihr ausgeruht hatte und mitten in der Nacht wieder fortgegangen war. Über den Zweck dieses Besuches konnte ich zunächst nicht das geringste erfahren.
»Sie wollte mich sehen, das war alles«, sagte die Alte in einem rätselhaften Ton und zwinkerte nervös mit den Augen, die trotz der geschwollenen Lider immer noch schön waren.
»War sie schwanger?«
Das war nicht nur unnötige Brutalität. Ein Mann, der
Sicherheit haben will, wagt jede Vermutung. Falls eines von Sophies letzten Abenteuern Folgen gehabt hätte, so wäre sie erst recht vor mir geflohen, und unser Streit auf der Treppe wäre dann für sie nur ein Mittel gewesen, mir den eigentlichen Grund ihres Weggehens zu verheimlichen.
»Aber, Herr Offizier, eine Dame wie die junge Gräfin ist doch nicht eine von diesen Bäuerinnen!«
Schließlich gestand sie, daß Sophie nach Lilienkron gekommen sei, um sich einen Männeranzug zu besorgen, den früher Grigori getragen hatte.
»Sie hat den Anzug genau dort probiert, wo Sie jetzt sind, Herr Offizier. Das konnte ich ihr wirklich nicht abschlagen. Aber die Kleider paßten ihr nicht: sie waren zu klein.«
Ich erinnerte mich daran, daß Sophie in der Tat schon mit sechzehn Jahren einen ganzen Kopf größer war als der schmächtige kleine Buchhandlungsgehilfe. Es war komisch, sich vorzustellen, wie sie sich in Grigoris Hose und Jacke hineinzuzwängen versuchte. Die Mutter Loew hatte ihr die Kleider einer Bäuerin angeboten, aber Sophie war bei ihrer Idee geblieben; und schließlich fand sich für sie ein passender Männeranzug. Auch einen Führer hatte man ihr mitgegeben.
»Wer war das?«
»Er ist nicht zurückgekommen«, sagte die Alte, und ihre Hängebacken begannen zu zittern.
»Und deshalb haben Sie diese Woche keinen Brief von Ihrem Sohn erhalten. Wo sind die beiden?«
»Wenn ich das wüßte, mein Herr, würde ich es Ihnen, glaube ich, nicht sagen«, erwiderte sie nicht ohne Würde. »Und nehmen Sie an, ich hätte gewußt, wo sie vor ein paar Tagen gewesen sind, so wären meine Angaben jetzt sowieso
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