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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Moment in Moskau auf. Hier vor Ort bleiben nur zwei Sicherheitsposten. Kommen Sie, gehen wir spazieren. Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
    Sie führte ihn ohne Eile durch den Flur nach links und blieb bei den an den Wänden hängenden Stichen stehen. Völlig unverdächtig: ein ganz gewöhnlicher, zum Zeitvertreib unternommener Spaziergang. Ihnen kam ein Kellner mit einem Tablett entgegen, auf dem Sektgläser standen. Jeanne nahm sich eins und nippte daran. Nicholas war die Lust vergangen.
    An der Tür, von der er nur wusste, dass sie zum Dienstbotenaufgang führte (er hatte sich nie genauer dafür interessiert), blieb Jeanne stehen. Sie nahm einen Schlüssel aus der Tasche, und im Nu waren sie auf der anderen Seite.
    »So. Jetzt nach oben«, sagte sie.
    Immer zwei Stufen überspringend, erreichte sie den zweiten Stock, bog ohne das geringste Zögern in einen kleinen Flur ein und dann in einen zweiten, an dessen Ende man eine Tür mit der Aufschrift »Monitorraum« sah.
    Jeanne wagte jetzt nur noch im Flüsterton zu sprechen:
    »Morgen früh um Punkt halb sechs gehen Sie in diesen Raum. Hier ist der Schlüssel.« Eine Chipkarte fiel in seine ausgestreckte Hand. »Jetzt sitzt da ein Wachposten, aber der wird morgen ebenfalls weg sein. Die Monitore sind dann vom Beobachtungsmodus auf das automatische Alarmsystem umgeschaltet. Sie betreten den Raum, gehen ans Schaltpult und drücken den dritten Knopf von links in der unteren Reihe. Dann verschwinden Sie leise und gehen in Ihr Zimmer zurück. Das ist alles, was von Ihnen verlangt wird. Haben Sie sich das gemerkt?«
    »Halb sechs. Der Dritte von links in der unteren Reihe«, wiederholte er ebenfalls flüsternd. »Und was ist das für ein Knopf?«
    »Er ist dazu da, die Detektoren an einem Teil der Mauer auszuschalten. Zwar ist das nur ein sehr kleines Stück, aber das reicht mir. Das ist schon alles, damit wären wir quitt, Nikolaj Alexandrowitsch. Dann können Sie wieder eine ruhige Kugel schieben und sich Ihren Gören widmen.«
    Sie gingen zurück: vorneweg Jeanne, hinter ihr der blasse Fandorin.
    Auf der Treppe fragte er leise:
    »Sie wollen also das Mädchen entführen? Und was haben Sie mit ihr vor?«
    »Nichts, wovor man Angst haben müsste«, sagte Jeanne, hob den Zeigefinger in die Höhe, um ihm zu bedeuten, er solle still sein, legte das Ohr an die Tür und horchte. »Alles klar. Weiter.«
    Sie hatten nun wieder Teppiche unter den Füßen und blieben vor einem Stich stehen, auf dem Segelschiffe bei einer Seeschlacht dargestellt waren.
    »Ihrem Schützling wird kein Haar gekrümmt werden«, wiederholte Jeanne. »Natürlich nur dann, wenn Kuzenko sich nicht aufführt wie ein Monstrum, dem am Geld mehr liegt als an seiner einzigen Tochter.«
    »Nein«, sagte Nicki und schüttelte den Kopf, womit er sagen wollte, dass er diesen Auftrag nicht ausführen konnte.
    Sie blickte ihn verwundert an.
    »Was heißt › Nein ‹ ? Meinen Sie, er ist nicht Vater genug dafür?« Und nach einer Pause fügte sie drohend hinzu: »Oder sind Sie vielleicht nicht Vater genug dafür?«
    »Versuchen Sie nicht, mich für blöd zu verkaufen. Sobald Sie mich nicht mehr brauchen, werden Sie mich umbringen.«
    Seine Worte riefen aus unerfindlichen Gründen wieder Heiterkeit bei ihr hervor.
    »Na und?«, platzte es aus ihr heraus. »Dafür bleiben Ihre Kinder am Leben.« Sie kriegte sich vor Lachen kaum mehr ein. »Vielleicht bringe ich Sie ja gar nicht um. Warum sollte ich? Sie stellen ja keine Gefahr für mich dar. Nur, wissen Sie, an Ihrer Stelle würde ich mich dann aus dem Staub machen. Wissen Sie, wie diese Kinder liebenden Väter sein können? Wenn Kuzenko rauskriegt, wie das Ganze abgelaufen ist, verpasst er Ihnen eine chirurgische Operation. Und zwar ohne Narkose.«
    Jeanne lachte noch eine Weile und sagte dann:
    »Okay, ich gehe, sonst wird mein Oleg noch eifersüchtig. Bis dann, du Papi.«
    Und sie entfernte sich, graziös mit den Hüften wackelnd.
    Nicholas presste seine Stirn gegen das Glas des Stiches und blieb so stehen, bis er Stimmen hörte. Noch einer von den Gästen war offenbar auf die Idee gekommen, die alten Bilder zu bewundern.
    Es war ein Greis, der nur mit Mühe einen Fuß vor den anderen setzen konnte, mit einem Gesicht, das ihm irgendwie bekannt vorkam – vielleicht ein Akademiemitglied, ein Nobelpreisträger oder so etwas. Eine jugendlich aussehende, gepflegte Dame hatte ihn untergehakt und stützte ihn. Bestimmt wieder eine Patientin von Mirat Leninowitsch, dachte

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