Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
dorthin. Mitja fürchtete ihn so sehr, dass seine Augen zuckten. Als ihn der Italiener nach etwas fragte, konnte er kaum antworten.
    Auch während des Abendessens schaute der Sekretär immer wieder nach Mithridates; das geschah zwar zerstreut, aber von diesen schwarzen Augen gefror in Mitjas Inneren alles zu Eis. Dann ist das mit dem schwarzen Auge also kein Märchen, sondern stimmt. Wer eine schwarze Seele hat, dessen Blick ist ebenfalls schwarz.
    »Ein bisschen trinke ich von dem Likör«, sagte die Kaiserin entschieden. »Es ist zwar Freitag. Aber das ist ja keine große Sünde. Wenn es der Gesundheit förderlich ist, verbietet die Kirche es nicht. Ihr Likör ist doch hoffentlich gut für die Gesundheit, Konstantin Christoforowitsch, oder? Er hat mir gut gefallen, er wärmt einen richtig schön von innen.«
    »Vorzüglich für Gesundheit, Majestät!«, versicherte der Grieche auf der Stelle. »Und gesegnet vom Metropoliten. Zeig deine Zunge, Mütterchen. Ist sie rosig, du kannst unbesorgt trinken.«
    Die Semiramis streckte die Zunge heraus, und alle betrachteten sie neugierig, Mitja stellte sich sogar auf die Zehenspitzen. Leider war die Zunge zwar rau und grobkörnig, aber makellos rosig. Die Katastrophe war offenbar nicht abzuwenden.
    »Das geht. Ein Gläschen, oder zwei«, erlaubte Kosopoulos und schenkte sofort ein.
    Es war, als hätte eine höhere Kraft von Mitja Besitz genommen. Mit einem Schrei stürzte er zum Tisch und stieß gegen den Ellenbogen Ihrer Majestät. Nicht ohne die Seide des kaiserlichen Kleides zu bespritzen, fiel das Glas zu Boden.
    »Um Gottes willen!«, schrie Katharina, während der Chef der Geheimexpedition mit überraschender Wendigkeit vom Hocker aufsprang und Mitja fest am Kragen packte.
    Die Kaiserin war entsetzlich wütend.
    »Der kleine Wilde! Fast wäre mir das Herz stehen geblieben! Jagt ihn fort, Prochor Iwanowitsch!«
    Maslow zog den Flegel am Ohr zur Tür. Das tat weh und war ungerecht, Mitja wollte schreien: »Vorsicht, das ist Gift«, aber in diesem Augenblick fing er den Blick von Herrn Metastasio auf. Dieser tollwütige, vernichtende Blick erschreckte ihn zu Tode! Und dann blickte der Sekretär auf den Boden und zupfte krampfhaft an seinem Halstuch, als bekäme er keine Luft. Er hatte ihn erkannt, wurde Mitja klar. Er hatte den Schuh ohne die Schnalle gesehen. Er wusste Bescheid . . .
    Irgendwie kam er, gezogen von Maslows Hand, die gnadenlos sein Ohr marterte, bis zur Tür. Plötzlich ertönte ein schriller Schrei der Verzweiflung, der von der Kaiserin kam, und Maslows eiserne Hände lockerten sich. Der Beschützer des Throns stürzte zu seiner Gebieterin.
    »Was hat sie? Schaut mal! Es geht ihr schlecht!«, schrie Katharina und zeigte auf den Boden.
    In der rubinfarbenen Lache lag die Windhündin Adelaida Iwanowna; sie hatte stumm den Rachen aufgerissen und zuckte mit allen vier Pfoten.
    »Das ist Gift!«, brüllte Maslow mit Donnerstimme. »Der Likör ist vergiftet! Ein Anschlag auf das Leben der Kaiserin!«
    Die Herrscherin sackte in sich zusammen. Leute stürzten herbei und warfen auf dem Weg Sessel um.
    »Das Likör gut!«, versicherte Kosopoulos und schlug sich an die Brust. »Ich selbst getrunken, Mütterchen Zarin getrunken! Immer gut, nix schlecht!«
    Der Geheimrat kam auf einmal zu Mitja zurück und packte ihn bei den Schultern.
    »Warum hast du die Flasche hingeworfen?«, flüsterte er schmeichelnd. »Aus kindlicher Ungeschicklichkeit, oder wusstest du von dem Gift?«
    Und er setzte leise hinzu:
    »Sag mir die Wahrheit. Mich darf man nicht anlügen.«
    Die Augen des dicklippigen Greises waren matt, ohne Glanz. Er hätte ihm gleich alles erzählen sollen, aber er machte einen Fehler – er blickte zu Metastasio und erstarrte unter dem Basiliskenblick des Verschwörers.
    »Du weißt etwas, das sehe ich«, flüsterte Maslow. »Sagst du es im Guten, oder muss ich dich in die Geheimexpedition bringen? Ich nehme keine Rücksicht darauf, dass du noch klein bist. . .«
    Da erklang eine schwache Stimme:
    »Wo ist er? Wo ist mein Schutzengel? Prochor Iwanowitsch, was renkt Ihr ihm die Schultern aus? Komm her, mein Retter. Der Herrgott hat dich mir und Russland gesandt!«
    Und der Griff des schwarzen Greises lockerte sich, er ließ ab.
    Nach dem denkwürdigen Abend im Brillantzimmer ließ Fortuna unseren Mithridates Karpow immer höher aufsteigen. Vom Pagen Seiner Durchlaucht des Fürsten Surow, der sich von solchen Knaben unterschiedlichen Alters gleich zwei Dutzend

Weitere Kostenlose Bücher