Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
bestimmten Thema gewidmet. Zur schon erwähnten Rubrik »Wünschelrute«, die männlichen Intimitäten gewidmet war, gab es ein weibliches Pendant mit dem Titel »Rote Blume«. In der Abteilung »Ich schreibe Ihnen« arbeiteten zwei schamlose Journalistinnen, die von der eingegangenen »Konservativen Zeitung« übrig geblieben waren, und verfassten herzzerreißende Leserbriefe. Die Rubrik »Liebesträume« brachte feurige Phantasien von Erossianern (die im Gegensatz zu den herzzerreißenden Briefen echt waren). Außerdem gab es in der Zeitung noch die Seiten »Spezialreportage«, »Tobereien« und »Was tun?« (gemeint war: bei sexuellen Störungen), zwei Fotogalerien (»Miss Erossianka« und »Mister Erossian«) sowie die super populäre Klatschspalte »Wussten Sie schon?«, wo der Leser pikante Geschichten aus dem Leben der Stars des Showbusiness vorgesetzt bekam. Mit Letzteren prozessierte die Wochenzeitung ständig, denn sie wurde mit Verleumdungsklagen überschüttet (der Ausgang des Prozesses und die Auswahl des kompromittierenden Materials waren zwischen den beiden Seiten vorher abgesprochen).
    Nicholas kam zu einer ungünstigen Zeit: Der ganze Redaktionsstab hatte sich zur täglichen Konferenz versammelt. Auch die Assistentin der abwesenden Chefredakteurin saß dabei und stenographierte die Diskussion. Das war zwar gar nicht notwendig, aber die eifrige Cäcilia Abramowna hatte, um besser für ihr Amt präpariert zu sein, extra stenographieren gelernt und stenographierte nun alles, was ihr unter die Finger kam. Außerdem wusste sie nicht, was sie machen sollte, wenn die Chefin weg war, und Nichtstun war sie nicht gewohnt.
    Der stellvertretende Chefredakteur lächelte dem hereinschauenden Nicholas freundlich zu und fragte:
    »Wollen Sie zu mir?«
    »Nein, ich möchte mit Cäcilia Abramowna sprechen. Ich kann aber ruhig warten, bis Sie fertig sind«, sagte Fandorin verlegen und wurde natürlich sofort zu ihnen an den langen Tisch gebeten. Die Besprechung näherte sich Gott sei Dank dem Ende.
    Alle Redakteure kannten Nicki und lächelten ihm freundlich zu, nur der Star und Stolz des »Eross«, die überragende Amanda Law, schleuderte ihm einen verächtlichen Blick an den Kopf und wandte sich ab. Als einsame Wölfin gehörte sie nicht zu den festen Angestellten und arbeitete mit der Redaktion nur aus Leidenschaft für extreme Empfindungen zusammen, so recherchierte sie zum Beispiel für Spezialreportagen zu exotischen Sexfragen. Amanda war nicht nur berühmt für ihre inspirierte Feder, sondern auch für ihre unglaubliche journalistische Opferbereitschaft: mal hatte sie sich als Domina in einem masochistischen Salon verdingt, mal war sie mit Fernfahrern unterwegs gewesen, mal war sie in einen Sodomitenklub eingetreten. Fandorin wusste, dass der verächtliche Blick der fatalen Frau sich auf ihn als Ehemann der Chefredakteurin bezog, mit der Amanda vor kurzem einen Konflikt gehabt hatte. Die vorbildliche Extremjournalistin hatte in Eigeninitiative sensationelles Material zu einer seltenen perversen Variante, nämlich der Koprophilie, gesammelt, wofür sie in einen Geheimzirkel eingetreten war und mit einer versteckten Kamera sogar Fotos geschossen hatte; Altyn hatte den Artikel aus ästhetischen Gründen nicht durchgehen lassen. Die arme Amanda, die sich um der Kunst willen schwersten Prüfungen unterzogen hatte, brach einen heftigen Streit vom Zaun, nannte das »Zensur« und »Tatarenjoch« und drohte zur Konkurrenzzeitschrift »Süße Beere« oder »Boudoir« abzuwandern, tat das aber natürlich nicht, denn Niveau wie Honorare waren dort deutlich niedriger.
    Amanda war aber eher eine Ausnahme, die meisten Redaktionsmitglieder waren ruhig, kultiviert und nicht mehr ganz jung. Etliche von ihnen hatte Altyn von dem Fachblatt »Sozialistischer Atommaschinenbau« übernommen; sie hatten sich die neue Sparte in Windeseile angeeignet. So hatte zum Beispiel Sexuali Lochankin (natürlich ein Pseudonym), der Leiter der Spielplatzrubrik »Toberei«, sich früher mit Rationalisierungs- und Innovationsmaßnahmen in der Produktion beschäftigt, und das betagte Mädel Ljalja Drujan hatte sich von der Leiterin eines Betriebskindergartens zur Expertin für nicht vaginale Praktiken gemausert. In der Besprechung ging es gerade um ihr Material.
    »Igor Iwanowitsch«, sagte Ljalja mit weinerlicher Stimme zu dem stellvertretenden Chefredakteur. »Mit meinem Analsex, das klappt einfach nicht. Ich habe es vorne und hinten versucht. Es

Weitere Kostenlose Bücher