Der FC Bayern und seine Juden
aber dann ging es immer weiter.« So richtig willkommen fühlen sich die Rückkehrer allerdings nicht. So berichtet Uri Siegel: »Ich habe vorwiegend in München Bekannte meiner Eltern getroffen, mit denen bin ich gut ausgekommen. Die Stimmung war positiv. Aber ein ›echtes‹ Willkommen hat gefehlt. Mein Vater kannte zum Beispiel Wilhelm Hoegner, den einzigen SPD-Ministerpräsidenten Bayerns. Als mein Vater in den Ersten Weltkrieg zog, musste er einen Vertreter für seine Kanzlei bestellen. Das war Hoegner. Als Hoegner 1946 Ministerpräsident wurde, hat ihm mein Vater einen Gratulationsbrief geschrieben. Ich kenne nur die Antwort: Da bedankt sich Hoegner und freut sich, dass mein Vater ein neues Zuhause in Palästina gefunden hat. Aber kein ›Kommen Sie doch wieder zurück. Wir wären froh, wenn unsere alten Mitbewohner zurückkämen.‹« Wie Uri Siegel später erfährt, konnte sich Hoegner angeblich »wegen Widerständen im eigenen Kabinett nicht erlauben, einen Juden zur Rückkehr zu ermuntern«.
Angenehm ist sein Anwaltsjob nicht. Bei seinen Gängen zum Landgericht und Entschädigungsamt spürt Siegel »wenig vom Geist der Wiedergutmachung und schlechtem Gewissen«: »In Bayern wurde das Thema der Wiedergutmachung sehr stiefmütterlich behandelt.« Für einen Tag im KZ oder Ghetto gab es fünf Mark, was heute einer Kaufkraft von zwölf Euro entspricht.
Zurück in Deutschland und München, zeigt Siegel nun ein viel stärkeres Interesse am jüdischen Leben als während seiner Kinderzeit. Nicht nur, weil Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung aus den »deutschen Staatsbürgern jüdischen Glaubens« »Juden in Deutschland« gemacht haben. Auch die israelische Sozialisation und die Arbeit spielen eine Rolle. Siegel: »Ich kam aus Israel, wo es naturgemäß jüdisches Leben gab. Außerdem betreuten wir in der Kanzlei vorwiegend jüdische Mandanten, die meisten waren polnische Juden, deutsche Juden waren selten, Münchner Juden nur wenige. Aber in die Synagoge bin ich immer noch selten gegangen.«
In den 1960ern lässt sich Siegel erstmals in den Vorstand der Jüdischen Gemeinde wählen, »nachdem ich mich habe überreden lassen, auf der Liste von Fritz Neuland, dem Gründer der Gemeinde nach dem Krieg, zu kandieren«. Neuland ist der Vater von Dr. h.c. Charlotte Knobloch, seit 1985 Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern sowie zwischen 2006 und 2010 Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Der aus Bayreuth stammende Neuland war vor dem Ersten Weltkrieg Konzipient (Referendar) bei Uri Siegels Großvater gewesen und hatte anschließend acht Jahre in der Kanzlei von Julius Siegel gearbeitet. Krieg und Holocaust überlebte Neuland als Zwangsarbeiter. Von 1951 bis 1969 ist der renommierte Anwalt bayerischer Senator.
Landauer-Neffe Siegel fungiert zwei Jahre lang als Vizepräsident der Münchner Gemeinde und 17 Jahre als Geschäftsführer der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern. Über den Unterschied zwischen den Gemeinden vor 1933 und nach 1945 berichtet er: »Vor dem Krieg waren in der Gemeinde deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens, die in erster Linie Deutsche waren, dann gab es die Ultrareligiösen, die in erster Linie Juden waren, die Zionisten und alle dazwischen. Die Gemeinde war liberal. Es waren vor allem Leute, die sich als Juden gefühlt haben, aber wenig in die Synagoge gegangen sind. Seit dem Krieg ist es eine orthodoxe Gemeinde, obwohl im Vorstand vielleicht einer mit Kippa saß.«
Oberliga: Der Süden als Avantgarde
Bereits im September 1945 kommt es im Süden, der erneut die Avantgarde des deutschen Fußballs stellt, zur Gründung einer Oberliga. Bei dieser Gelegenheit beschließen die 16 versammelten Vereine auch einstimmig, »den Amateurstandpunkt fallen zu lassen«. Zudem wird versichert, die Vereine seien »ausnahmslos durch zwei bis vier politisch einwandfreie Vereinsfunktionäre vertreten«. Der FC Bayern hat damit keine Probleme.
Kurt Landauer wird Vorsitzender der Interessensgemeinschaft der süddeutschen Vertragsspielervereine. Der 1933 durch eine unheilige Allianz von NS-Führung und DFB-Führung gestoppte Kampf für eine Legalisierung des Professionalismus wird wieder aufgenommen. Im Dezember 1947 findet im Süden eine »erste deutsche Fußball-Profi-Tagung« statt, die eine Einführung des Berufsfußballs für die Zeit nach der Währungsreform verspricht.
Im Juli 1948 führen Süddeutschlands Oberligavereine als Erste in
Weitere Kostenlose Bücher