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Der FC Bayern und seine Juden

Der FC Bayern und seine Juden

Titel: Der FC Bayern und seine Juden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietrich Schulze-Marmeling
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Heinrich Mann.
    Oskar Rohr hat die Dienste des Amerikaners nicht in Anspruch genommen oder nicht nehmen können. Im November 1942 wird er von der Polizei des Vichy-Regimes verhaftet und wegen »antifranzösischer und kommunistischer Propaganda« zu drei Monaten Haft verurteilt. Bei einer Hausdurchsuchung waren bei Rohr »kommunistisch eingefärbte« Flugblätter gefunden worden. Doch Oskar Rohr ist ein eher unpolitischer Mensch. Und seine Zimmerwirtin sagt vor Gericht aus, dass sich kurz vor der Durchsuchung zwei Herren mit deutschem Akzent in seinem Zimmer zu schaffen gemacht hätten. Rohrs Verhaftung erfolgt im Zusammenhang einer deutschen Offensive gegen Marseille.
    Nur wenig später marschiert die Wehrmacht in der Hafenstadt ein. Der SS- und Polizeiführer Karl Oberg, Heinrich Himmlers Vertreter im besetzten Frankreich, verkündet, Marseille sei ein internationales Banditennest, der Krebs Europas. Europa werde nicht leben können, solange Marseille nicht gesäubert sei. In einem Polizeibericht wird das Hafenviertel als »das größte, durch Tausende von fremdrassigen, vor allem politischen Elementen beherrschte Verbrecherzentrum des Kontinents« beschrieben. Im Januar und Februar 1943 wird auf Himmlers Anweisung ein Großteil der historischen Altstadt gesprengt. 27.000 Altstadt-Einwohner werden zwangsumgesiedelt, 1.640 Bewohner, etwa die Hälfte von ihnen Juden, verhaftet und später ins Reichsgebiet bzw. nach Polen deportiert.
    Rohr verbüßt einen Teil seiner Haftstrafe in der Zitadelle von Straßburg. Anschließend wird er nach Deutschland ausgeliefert. Zwei Monate verbringt Rohr im ehemaligen KZ Kislau bei Karlsruhe, das seit 1939 ein Strafgefängnis ist. Hier finden sich die unterschiedlichsten Gruppen wieder: sogenannte Rotspanier, Polen, »Arbeitsverweigerer«, Franzosen und Belgier, die wegen Diebstahls oder ähnlicher Vergehen verurteilt wurden. Rohr muss harte Zwangsarbeit verrichten.
    Nach acht Wochen wird er entlassen. Sein Großneffe Gernot Rohr erklärt den Journalisten Gerhard Fischer und Ulrich Lindner später, Reichstrainer Sepp Herberger habe sich für den Ex-Nationalspieler eingesetzt. Dem hat (laut Fischer/Lindner) Oskar Rohrs Witwe Josefine aber widersprochen. Herberger habe Rohr nicht gemocht, da der große Hoffnungsträger für Geld ins Ausland gegangen sei. Vielmehr habe Rohrs ältester Bruder die Freilassung erwirkt, durch einen Kontakt zu einem hohen SS-Funktionär.
    Wie dem auch gewesen sein mag: Rohr darf sich nur drei Tage der wiedererlangten Freiheit erfreuen. Dann erreicht ihn die Einberufung zur Ostfront. Fischer/Lindner: »Man kommandierte ihn zu den Infanteristen ab, dem Einsatzort mit der wahrscheinlich schlechtesten Überlebenschance. Seine Witwe meint, dies sei kein Zufall gewesen, sondern man habe dies für ihn ausgesucht, um ihn büßen zu lassen.« Als Soldat kickt Rohr in einer Fußballmannschaft des Heeres. Als Stürmer einer »Heeresflak-Auswahl« erzielt er in einem Spiel gegen die »Luftnachrichten« fünf Tore.
    Mit einer leichten Verletzung sei Rohr gegen Kriegsende mit einem der letzten Transporte ausgeflogen worden. Fischer/Lindner: »Sein Platz war hinten im Heck. Der Pilot war Münchner und erkannte den ehemaligen Bayern-Torjäger. Ansonsten wäre Rohr wohl an der Front geblieben.«
    Nach dem Krieg bestreitet Rohr noch bis 1949 drei Spielzeiten in den Oberligen Süd und Südwest, wo er für den VfR Mannheim, TSV Schwaben Augsburg, SV Waldhof Mannheim und den FK Pirmasens spielt. Später ist er als Trainer tätig und arbeitet bei der Mannheimer Stadtverwaltung.
    Der Historiker Peter März: »Ossi Rohr war kein politischer Widerständler, schon gar nicht der Kommunist, zu dem er während des Zweiten Weltkriegs abgestempelt wurde. Er war Individualist, er wollte, was in einer freien Gesellschaft das Selbstverständlichste der Welt sein sollte: mit seinen Talenten buchstäblich wuchern und Geld verdienen können, er ließ sich von den braunen Machthabern nicht gleichschalten. Seine Geschichte ist die eines selbstbestimmten Individuums in einer totalitären Welt – und insofern unterscheidet er sich auch von Nerz und Herberger und von einem Funktionär wie dem DFB-Präsidenten Felix Linnemann. In dieser Biographie sind Zeitgeschichte, Individualität und kultureller Fortschritt eine eindrucksvolle Symbiose eingegangen. Oskar Rohrs Leben steht quer zu jenem Gleichschaltungswahn, ohne den totalitäre Diktaturen nicht bestehen können.«
    Die Flucht der Ungarn
    Auch die

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