Der FC Bayern und seine Juden
Konrád verlässt Italien 1938 und geht nach Frankreich. Dort erreicht er mit Olympique Lillois das Finale um den nationalen Cup, in dem aber Jean Bernard-Lévys Pariser Racing Club die Oberhand behält. Rechtzeitig zieht Konrád weiter nach Portugal, wo er in der Saison 1939/40 Sporting Lissabon trainiert. Anschließend emigriert er mit seiner Familie in die USA.
Welchem Schicksal Konrád, Dombi und die anderen bei ihrer Odyssee durch Europa entgingen, zeigt das Beispiel ihres jüdischungarischen Landsmanns Árpád Weisz, der als Trainer bei Inter Mailand und dem FC Bologna tätig war und zum jüngsten Meistertrainer in der italienischen Fußballgeschichte sowie zum dreifachen Scudetto- Gewinner wurde.
Am 1. September 1938 beschließt Italiens Ministerrat die »Provvedimenti nei confronti degli ebrei stranieri« (Maßnahmen gegen die ausländischen Juden). Nicht-italienischen Juden wird der Wohnsitz in Italien, Libyen und den ägäischen Besitzungen verboten. Binnen sechs Monten haben sie diese Territorien zu verlassen. Außerdem verlieren alle nach dem 1. Januar 1919 eingebürgerten Juden die italienische Staatsbürgerschaft. Am 17. November folgt noch ein Rassendekret (»Provvedimenti per la difesa della razza Italiana«), das an die berüchtigten »Nürnberger Gesetze« angelehnt ist. Italien hat den Anschluss an die Rassenpolitik des »Dritten Reiches« vollzogen; die systemati sche physische Vernichtung der Juden bleibt allerdings eine deutsche Spezialität und wird Italien erst nach dem Sturz Mussolinis im Juli 1943 heimsuchen. Denn dann werden die Deutschen einen Großteil Italiens besetzen und Tausende italienischer Juden in den Tod schicken.
Im Oktober 1938 muss Árpád Weisz seinen Trainerjob aufgeben. Im Januar 1939 verlässt er Italien und zieht mit seiner Familie über Paris in die Niederlande, wo er den FC Dordrecht trainiert. Nach dem deutschen Einmarsch wird er zunächst im September 1941 mit einem Arbeitsverbot belegt. Im August 1942 werden Weisz und seine Familie verhaftet und ins Durchgangslager Westerbork verschleppt. Wenige Wochen später folgt die Deportation nach Auschwitz, wo Weisz im Januar 1944 ermordet wird. Seine Frau und beiden Kinder waren bereits am 5. Oktober 1942 in Birkenau ermordet worden.
Emigration und Deportation
In Deutschland wird das Leben für die Juden schrittweise immer gefährlicher. Zwischen dem 1. Januar 1938 und dem Auswanderungsverbot am 1. Oktober 1941 gelingt reichsweit noch etwa 170.000 Menschen die Flucht. In München verlassen zwischen 1933 und 1942 etwa 8.000 Juden die Stadt und suchen Schutz im Ausland, vor allem in den USA, wo sich mindestens 2.000 Frauen, Männer und Kinder aus München niederlassen. Darunter der liberale Rabbiner Dr. Leo Baerwald, der nun im New Yorker Stadtteil Washington Heights eine Synagogengemeinde für Immigranten aus München und anderen süddeutschen Orten übernimmt. Zu deren Gründern gehörte der bereits 1935 emigrierte ehemalige Löwenbräu-Generaldirektor Hermann Schülein. Großbritannien nimmt ca. 1.100 Münchner Juden auf. Nach Palästina gehen lediglich 712.
Kurt Landauer emigriert am 17. Mai 1939 in die Schweiz. Das Alpenland ist für Landauer nahezu eine zweite Heimat. Unter dem Präsidenten Landauer ist der FC Bayern in den Weimarer Jahren zwölfmal in das Nachbarland gereist, vor allem nach St. Gallen und Zürich. Aber auch in die Westschweiz nach Genf sowie nach Lausanne, wo Landauer einst seine Banklehre absolviert hatte.
Aufgrund ihrer humanitären Tradition bildet die Schweiz zunächst ein wichtiges und populäres Fluchtziel für deutsche und österreichische Flüchtlinge. Allerdings gerät das neutrale Land mehr und mehr Unter den Druck des mächtigen Nachbarn. Im Bemühen, deutsche Invasionsgelüste zu dämmen, trifft die Schweiz 1939 mit Deutschland eine Vereinbarung, die Pässe deutscher Juden mit einem »J«-Stempel zu kennzeichnen. Im August 1942, ein gutes halbes Jahr nach der berüchtigten Wannsee-Konferenz mit dem Beschluss zur »Endlösung der Judenfrage«, schließt die Schweiz ihre Grenzen für Flüchtlinge, die »nur aus Rasse-Gründen« einreisen wollen.
Kurt Landauer kommt noch rechtzeitig, und sein erstes Ziel ist die Gemeinde St. Magrethen, an der schweizerisch-österreichischen Grenze und im Kanton St. Gallen gelegen. Die Wahl der Region dürfte auf alten Verbindungen beruhen: Bis 1933 hieß Bayerns ausländischer Lieblingsgegner FC St. Gallen; insgesamt hat man 15-mal gegen den ältesten
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